#Monotalk Katharina Darisse über Führungsmüdigkeit

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Katharina Darisse, Geschäftsführerin von Fair Job Hotels: „Die Art des Führens hat sich verändert. Eine Führungskraft muss heute mehr können als vor rund 50 Jahren.“ © Studio vom Berg/Patrick vom Berg

Im Interview spricht Katharina Darisse darüber, welchen Herausforderungen sich Führungskräfte heute stellen müssen und was aus ihrer Sicht die Gründe für das Phänomen „Führungsmüdigkeit“ sind.

Als Geschäftsführerin der Initiative „Fair Job Hotels“ und selbstständige Beraterin des „The Skill Shop“ möchte Katharina Darisse auf ein Thema aufmerksam machen, das in der modernen Arbeitswelt immer mehr an Bedeutung gewinnt: Führungsmüdigkeit. Mit Tophotel spricht Darisse darüber und was Unternehmen konkret tun können, damit es gar nicht erst so weit kommt.

Tophotel: Frau Darisse, warum haben Sie den Eindruck, dass Führungsmüdigkeit in der Hotellerie zunimmt?

Katharina Darisse: Diesen Eindruck habe ich, weil ich viele Studien über Personalmanagement, Mitarbeiterbindung und Mitarbeitergewinnung lese. Das ist Teil meiner Arbeit, weil wir bei Fair Job Hotels intensiv mit den Personalverantwortlichen von derzeit 111 Hotels in Deutschland arbeiten. Wenn man sich diese Studien anschaut, fällt neben einer generellen Arbeitsmüdigkeit auch eine stärkere Führungsmüdigkeit auf. Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass nur etwa jeder Zehnte heute noch Führungsverantwortung übernehmen möchte.

Wie äußert sich Führungsmüdigkeit?

Zum Beispiel, wenn sich Frustrationen aufbauen und es diesen Grundton gibt: „Es verändert sich ja eh nichts, es ist eigentlich egal, ob ich das mache.“ Wenn man eine emotionale Erschöpfung feststellt und die Begeisterung für die Sache abnimmt.

Dazu gehört auch der Verlust der eigenen Leistungsfähigkeit. Natürlich hat man auch mal einen Tag, an dem man merkt, ich arbeite und arbeite, aber kriege heute nichts richtig zustande. Aber das ist ganz menschlich und normal. Wenn es aber Tag für Tag schwerfällt, sich für seine Themen so zu begeistern, dass man vorankommt und zielgerichtet und fokussiert arbeiten kann, dann sollte man hinterfragen, woran das eigentlich gerade liegt.

Wie kommt es dazu, dass Führungskräfte nicht mehr führen möchten?

Dafür gibt es mehrere Ursachen. Einmal sollte sich das Unternehmen bewusst werden, welche Signale die Führungsebene an das Team aussendet. Stellen Sie sich vor, Sie sind Teil eines Teams und blicken nach oben: Was sehen Sie da? Sieht man da eine überlastete Führungskraft, die gerade versucht, ein Team zu führen, in dem zwei Stellen nicht besetzt sind, in dem sich das Team überlastet fühlt und deshalb unzufrieden ist?

Oder sieht man da eine Führungskraft, die es schafft, die Interessen des Teams und die Interessen des Unternehmens gut zusammenzuführen, das Team zu motivieren, sodass eine positive Unternehmenskultur und ein positiver Umgang im Team herrschen? Dann sieht man da natürlich ein Vorbild und sieht sich selbst eher in der Lage, eine solche Position zu übernehmen. Führungsmüdigkeit hängt stark mit der Unternehmenskultur und dem Thema „Wertschätzung“ zusammen.

"Wenn ich als Führungskraft müde und frustriert bin, strahle ich das aus, dann verankert sich dieses Bild auch bei jungen Mitarbeitenden."

Warum ist die Unternehmenskultur so wichtig? 

Es hängt so viel am Thema Unternehmenskultur. Die Unternehmenskultur ist die Basis für alles. Sie ist die Grundlage für das erfolgreiche Wirtschaften. Ohne dieses Verständnis, wie wir gemeinsam zusammenarbeiten, was wir zusammen erreichen wollen, gelingt eine Transformation im Unternehmen nicht. Ich kann ohne eine gute Unternehmenskultur nicht erreichen, dass meine Mitarbeiter wirklich mitziehen.

Ist das der Fall, dann öffnen sich meine Mitarbeiter mir auch nicht, um aufzuzeigen, wo die Probleme im Betrieb liegen. Haben sie schon mehrmals auf Probleme hingewiesen, ohne dass etwas passiert ist, dann tun sie das auch nicht mehr. Dies führt zu weniger Innovationskraft, und langfristig stellt sich eine geringere Leistungsbereitschaft ein. Probleme offen anzusprechen, dazu gehören sehr viel Vertrauen und Offenheit. Erst recht, wenn es um Führungsmüdigkeit geht. Dafür muss die Atmosphäre vorhanden sein.

Was können Gastgeber konkret tun, um einer solchen Müdigkeit entgegenzuwirken?

Ein Unternehmen muss sich genau darüber im Klaren sein, was die Führungsebene ausstrahlt. Ist die Führungsebene überfordert? Sehe ich, dass die Führungsebene stets überlastet ist und keine Zeit hat, auf die Mitarbeitenden einzugehen, keine Zeit hat, ihnen zuzuhören und sie empathisch zu führen? Oder arbeitet die Führungsebene erfolgreich und kann im Team gemeinsame Erfolge erzielen? Wenn eine Führungskraft müde und frustriert ist, weil sie nicht vorankommt, weil ihr Mitarbeitende oder Ressourcen fehlen, dann strahlt sie diese Frustration auch aus. Das verankert sich als Vorbild schließlich auch bei jungen Mitarbeitenden. Diese wägen natürlich ab, was sie gewinnen oder verlieren, wenn sie den Schritt in die Führung gehen.

Ein Bild davon können sich Unternehmen mit Umfragen im Betrieb oder durch Gespräche machen. Ein klassisches Instrument, um Führungsmüdigkeit zu erkennen, sind Stay-Interviews. Diese können bei der Früherkennung helfen. Der Geschäftsführer kann sie selbst mit der Führungsebene führen, aber auch das mittlere Management dazu anregen, Stay-Interviews zu führen. Um Führungskräften die Werkzeuge für gute Führung an die Hand zu geben lohnt es sich, ihnen monatlich einen Leadership-Coach zur Verfügung zu stellen. Dann bekommt die Führungskraft kontinuierlich die Unterstützung, die sie braucht. Es lohnt sich, externe Experten hinzuzuziehen, die den Führungskräften regelmäßig zur Seite stehen.

Wie stellen Geschäftsführende sicher, dass ihnen die Nachwuchsführungskräfte nicht ausgehen?

Es ist wichtig, Klarheit darüber zu schaffen, was auf Mitarbeitende zukommt, wenn sie den Schritt in die Führungsebene gehen möchten. Wenn ich als Geschäftsführer merke, dass eine Führungsposition per se nicht mehr unbedingt reizvoll ist, dann muss ich mir überlegen, wie ich diese wieder attraktiv machen kann. Ich muss mir überlegen, was ich tun kann, damit der Mitarbeiter intrinsisch motiviert ist und Freude daran hat, diesen Weg zu gehen. Ein Weg ist zum Beispiel, junge Mitarbeitende in Projekte einzubinden. Oder sie in Testphasen mehr Führung übernehmen zu lassen. Das muss im Team nicht als Testarbeiten kommuniziert werden, damit der Mitarbeiter anschließend ohne Gesichtsverlust sagen kann, ob er diesen Schritt gehen möchte oder nicht. Er kann sich selbst ausprobieren. 

Warum nehmen Führungskräfte den Druck auf sich und ihre Arbeit heute deutlich stärker war als früher?

Weil sich die Art des Führens verändert hat. Eine Führungskraft muss heute mehr können oder leisten als plakativ gesagt vor rund 50 Jahren. Damals hat sich eine Führungskraft dadurch ausgezeichnet, dass sie mehr gearbeitet hat als andere, dass sie vielleicht studiert hatte und dadurch über Kompetenzen verfügte, die manche im Team eventuell nicht hatten. Heute starten viele junge Menschen mit einem Studium ins Berufsleben. Generell, würde ich sagen, sind junge Menschen besser qualifiziert, wenn auch nicht in allen Bereichen der klassischen Bildung. Zusätzlich muss eine Führungskraft heute mit der Schnelligkeit des Arbeitslebens zurechtkommen, topinformiert sein, den technologischen Fortschritt einführen können und als empathischer Coach fungieren. Dadurch hat sich das Führungsprofil klar verändert, und die Verdichtung an komplexen Aufgaben überfordert schneller.

"Wertschätzung und Unternehmenskultur spielen eine entscheidende Rolle dabei, der Führungsmüdigkeit vorzubeugen."

Was hat sich konkret noch verändert im Umgang mit den Mitarbeitenden?

Das Team kann sich, zum Beispiel durch digitale Tools, sehr gut selbst organisieren und möchte sich auch selbst organisieren. Ich als Führungskraft muss weniger kon­trollieren und mehr mit Weitsicht in die Zukunft blicken. Auch zum Beispiel im Punkt Fachkräftemangel. Auf der Führungsebene gibt es weniger Planungssicherheit, wirtschaftliche Unsicherheiten haben zugenommen, wie wir es während der Coronapandemie erlebt haben und durch den Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig nehme ich als Coach das Team auf Augenhöhe wahr und stehe ihm coachend zur Seite. Diese zwischenmenschliche Kompetenz wurde aus meiner Sicht früher viel weniger verlangt.

Was kann ein Unternehmen tun, um seine Führungspositionen attraktiver zu gestalten?

Es sollte schauen, ob die Anforderungen, die es an ein Führungsprofil stellt, heute eigentlich noch mit der Arbeitswelt vereinbar sind. Ich nehme als Beispiel mal die klassische Reisetätigkeit. Das ist für manche Menschen sehr attraktiv. Hat die Führungskraft aber zum Beispiel Familie, dann kann dies schnell zu einer Überforderung führen. Hier sollte man die Stellenbeschreibungen prüfen und sich fragen: Was brauche ich wirklich? Vielleicht kann die Reisetätigkeit auf das Team verteilt werden, sodass die Vereinbarkeit mit der Familie wieder gegeben ist. Ein Recruiting-Tipp ist, viel mehr Differenzierung in die Stellenbeschreibungen zu bekommen. Storytelling! Wie sieht der Arbeitstag der gesuchten Führungskraft wirklich aus? Manche Unternehmen nutzen hier schon Audiodateien, die von direkten Vorgesetzten gesprochen werden. Ein Unternehmen hat letztlich drei Aufgaben, um die Führung wieder attraktiver zu gestalten: Für Klarheit zu sorgen, die Anforderungen zu überprüfen und entsprechende Vorbilder zu schaffen.

Wie gehen die Führungskräfte der Fair Job Hotels mit diesen Herausforderungen um?

Die Personalverantwortlichen der Hotels treffen sich jeden Monat in unseren „HR-FAIRstärkungs-Calls“. Sie können auf das Netzwerk und die Community zugreifen, was unheimlich hilft. Dieses Arbeiten im Netzwerk finde ich sehr wichtig. Man fühlt sich weniger allein gelassen und weiß, wo man sich Input für die eigenen Herausforderungen holen kann.

Haben Sie ein Rezept, das Ihnen dabei hilft, mit Belastungen umzugehen?

Bei mir muss es meiner Familie und vor allem den Kindern gut gehen, damit ich volle Leistung in meinem Beruf erbringen kann. Ich brauche eine Struktur, die mir die Ruhe gibt, mich meiner Führungsaufgabe zu widmen. Bei dieser Struktur spielen meine Eltern eine wichtige Rolle, ein uns unterstützendes Au-pair, das mir die notwendige Flexibilität gibt. Und vor allem habe ich einen ganz tollen Ehemann, Julian, der 50 Prozent der Verantwortung, also auch Zahnarzttermine und Elternabende, mitübernimmt. Wir teilen uns die Aufgaben. Persönlich ziehe ich meine Kraft aus der Familie, liebe die Gespräche mit meinen Freunden und vor allem Spaziergänge in der Lüneburger Heide, seit neuestem mit Hündin Robbie. Das sind meine Ruhepunkte.               

Katharina Darisse

Seit September 2023 ist Katharina Darisse Geschäftsführerin der Fair Job Hotels, einem Zusammenschluss von mehr als hundert Hotels. Diese wollen gemeinsam attraktive Arbeitsbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass die Hotellerie als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird. Mit ihrem Unternehmen „The Skill Shop“ ist Darisse außerdem als Trainerin und Beraterin tätig. Sie ist Dozentin an der internationalen Hochschule IUBH in Hamburg und unterrichtet im dualen Studiengang „Unternehmerisches Hotelmanagement“. Darisse hat Business Administration und Hotelmanagement am Schweizer Campus der Washington State University studiert. Sie war in führenden Positionen für Kempinski in Peking und Shanghai tätig, und für Ritz-Carlton in Toronto. Katharina Darisse ist verheiratet und hat drei Kinder.