Im Interview spricht die Botschafterin der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt über ihr politisches Engagement, die Stärken der Branche und die Potenziale der jungen Generation.
Mit Homeira Amiri als Gesicht für die Hotellerie ist die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) in diesem Sommer in ihre Awareness-Kampagne #HerzUnsererGesellschaft gestartet. Was bewegt die Unternehmerin dazu, sich politisch zu engagieren und viel Zeit in die Gespräche mit Politikern zu investieren? Wir haben uns mit ihr über die Schlagkraft der Branche, schlummernde Potenziale und die junge Generation ausgetauscht.
Tophotel: Frau Amiri, Sie engagieren sich stark im Vorstand der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG), unter anderem als Sprecherin der Kampagne #HerzUnsererGesellschaft. Wie kam es dazu?
Homeira Amiri: Die Coronakrise war hier ein Wendepunkt. Mein Bruder und ich führten zu dieser Zeit mit den Centro Hotels eine Hotelgruppe mit rund 65 Häusern. Wir waren erfolgreich auf Expansionskurs, als die Pandemie ausbrach. Der Umgang der Politik mit unserer Branche während der Pandemie zeigte uns, dass wir politisch unterrepräsentiert waren. Hotellerie, Gastronomie und Food-Industrie bilden eine wichtige Wertschöpfungskette, die in ihrer Gesamtheit aber so nicht wahrgenommen wurde.
Hinzu kam, dass Unternehmen, die nicht unter die Definition Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fielen, ein Jahr lang außer dem Kurzarbeitergeld überhaupt keine Coronahilfen erhielten. Diese Ungleichbehandlung hat mir deutlich gemacht, dass sich die Wahrnehmung der Gastwelt als Wirtschaftsfaktor dringend ändern muss. Wir müssen lernen, mit einer geeinten Stimme zu sprechen. Das war während der Krise und auch heute noch der eindeutige Wunsch der Politik. Daher zählten wir zu den Gründungsmitgliedern der DZG.
Das heißt, dass sich Unternehmer aus Hotellerie, Gastronomie und Food-Industrie zuvor zu wenig politisch engagiert haben?
Es gibt bereits viele Verbände, für die Gastwelt sind es sogar knapp 80, doch die Themen und Anforderungen, sei es bei Mitarbeiterfragen, Coronahilfen, Energiekosten oder gestiegenen Zinsen etc., überschneiden sich oft und die Gastwelt wurde somit durch ihre Kleinteiligkeit nicht ausreichend politisch wahrgenommen. Daher ist es umso wichtiger, dass wir unsere Kräfte bündeln.
"Solange sie erfolgreich waren, sahen viele Unternehmer überhaupt keinen Bedarf, sich in Verbänden oder politisch stärker zu engagieren."
Wie beurteilen Sie das Engagement der gastgewerblichen Berufsverbände insgesamt?
Jedes einzelne Engagement ist wichtig und gut, bestimmte übergreifende Themen müssen aber gebündelt werden. Die DZG hat beispielsweise Daten geschaffen und mit dem Fraunhofer Institut aufgezeigt, dass wir ein bedeutender und starker Wirtschaftsfaktor sind. Wir beschäftigen 6,18 Millionen Mitarbeiter in der Gastwelt. Bis zu 18 Millionen Menschen werden täglich außer Haus verpflegt. Wer das alles ins Verhältnis zu anderen Branchen der deutschen Wirtschaft stellt, merkt schnell, dass wir zu einem der größten Treiber zählen.
Der Politik ist aber leider nicht wirklich bewusst, dass wir mehr als nur das eine Restaurant in der Straße oder das eine Hotel in der Stadt sind, es zum Beispiel in unserer Branche einzelne Caterer gibt, die am Tag bis zu 25.000 Essen an Kitas, Schulen, Pflegeheimen etc. ausliefern. Oder dass, wer im Hotel wohnt, auch Bahntickets bucht, sein Auto tankt oder shoppen geht und somit die ganze Infrastruktur stärkt.
Solange sie erfolgreich waren, sahen viele Unternehmer überhaupt keinen Bedarf, sich in Verbänden oder politisch stärker zu engagieren. Bis vor Corona waren wir alle mit unseren Unternehmen beschäftigt. Als uns die Politik dann einschränkte und mit Verboten und Schließungen in unsere Unternehmensführung eingriff, wurde uns bewusst, dass wir als großes Ganzes nicht wirklich wahrgenommen werden. Hotelketten, Tourismus, Gastronomie, die Food-Industrie: Jede Branche kämpfte für sich allein und hatte somit weniger Schlagkraft.
Was genau haben wir uns unter der Awareness-Kampagne vorzustellen?
Die Kampagne #HerzUnsererGesellschaft möchte die positiven Aspekte unserer Branche hervorheben. Wir sind nicht nur ein wirtschaftlicher Motor, sondern auch ein Ort der Begegnung und Raum für persönliche Kontakte – und ein Gegenmittel gegen den Rechtsruck. Unsere Branche steht für Vielfalt, Gastfreundschaft und Integration. Restaurants, Bars, Gasthäuser, Hotels, Theater, Kinos und viele weitere Freizeiteinrichtungen sind nicht nur wichtige wirtschaftliche Faktoren, sondern zugleich das Herz der Gesellschaft. Diese Message vermitteln wir im Rahmen unseres Sommerdialogs politisch Verantwortlichen aller Ebenen. Mehr als 60 Betriebe landesweit haben sich bereit erklärt, Politikerinnen und Politiker zu empfangen und mit ihnen über die Vorzüge und die Herausforderungen unserer Branche zu sprechen.
Im September haben wir im Rahmen der Kampagne wieder ein Foodtruck-Event veranstaltet, über das wir den politischen Diskurs direkt in Berlin führen. Außer Politikerinnen und Politikern sollen bis Jahresende so auch Gäste und Mitarbeitende angesprochen und über die wichtigsten Ziele und Inhalte der Initiative informiert werden. Dazu schalten wir auf 23 Sendern bundesweite Radiospots mit in Summe über 8.200 Sendeminuten. Für den Oktober sind zudem flächendeckend regionale Anzeigen geplant.
Sind Sie bisher mit der Unterstützung zufrieden?
Ja, sie wird von rund 50 Verbänden und Organisationen aus Tourismus, Travel, Hospitality, Foodservice und Freizeitwirtschaft unterstützt, darunter beispielsweise der Verband Deutscher Ferienparks und Freizeitunternehmen, die Food Service Consultants oder die Jeunes Restaurateurs (JRE). Außerdem wird die Kampagne positiv von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) begleitet. Es ist ermutigend, zu sehen, wie viele sich für unsere Sache starkmachen.
Über Homeira Amiri
Homeira Amiri kam im Alter von vier Jahren mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland. In Göttingen gründete ihr Vater ein Restaurant, später zog die Familie nach Hamburg und baute die Hotelkette Centro Hotels auf. Homeira Amiri studierte Modedesign und in Teilen IT und Architektur und war COO bei den Centro Hotels, die im Juni an die HR Group (HRG) verkauft wurden. Heute leitet die Mutter dreier erwachsener Kinder die Unternehmen Amiri Consulting und People@Agency und engagiert sich für die Denkfabrik Zukunft Gastwelt sowie im ICA.
Der Dehoga und die IHA sind aber nicht dabei.
Wir haben alle Verbände eingeladen und mit allen, die mit dabei sein wollten, unsere Kampagne begonnen. Diese soll uns alle miteinander verbinden, auch wenn sich unsere Ansätze im Tagesgeschäft unterscheiden. Aufgabe der Denkfabrik ist die Vision, die Veränderung. Wir sind Unternehmer, die die Politik mit ihrer wirtschaftlichen Schlagkraft überzeugen und das positive Image der ganzen Gastwelt fördern möchten.
Ihre Familie hat die Centro Hotels in diesem Jahr an die HR Group verkauft. Werden Sie der Branche dennoch treu bleiben?
Auf jeden Fall. Bis Ende August habe ich den Eingliederungsprozess unserer Häuser in die HR Group begleitet, seit dem 1. September konzentriere ich mich beruflich auf mein Beratungsunternehmen Amiri Consulting und mein 2022 gegründetes Startup People@Agency, das Azubis und Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland vermittelt. Darüber hinaus engagiere ich mich weiterhin in der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt und im Beirat des Institute of Culinary Art.
Aus welchen Ländern vermittelt People@Agency Mitarbeitende, und in welche Branchen?
Wir haben unser Netzwerk in erster Linie in europäischen Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal gespannt, recruiten aber auch aus Indonesien, Vietnam, Aserbaidschan, Indien oder der Türkei. Das Gastgewerbe zählt zu unseren wichtigen Kunden, wir sind aber auch im medizinischen Bereich oder in der Logistik tätig.
Wie haben Sie sich auf diese Aufgabe vorbereitet?
Wir haben uns zunächst intensiv mit den Visa-Anforderungen beschäftigt. Auch ist uns bewusst, dass Talente aus dem Ausland starke Social Services benötigen, selbst wenn sie Deutsch können, was wir für bestimmte Berufszweige voraussetzen. Das beginnt bei der Unterstützung, eine Steuer-ID zu erhalten, über das Einrichten einer Bankverbindung bis zur Anmeldung bei der Meldebehörde und zur Wohnungssuche. Um all diese Prozesse zu beschleunigen, erarbeiten wir gerade einen digitalen Workflow. Unser Service umfasst neben dem Recruiting auch Onlinetrainings und Tipps fürs Onboarding. Wir arbeiten dabei auch mit den Anforderungen der Chancenkarte. Uns ist es wichtig, dass die Unternehmer hier mit den Talenten unterstützt werden, die sie brauchen.
"Privathoteliers müssen mehr denn je Nischenprodukte schaffen und ihre Stärken betonen."
Bei Centro haben Sie auch gern Quereinsteigern eine Chance gegeben. Schlummert darin weiteres Potenzial für die Branche?
Ich bin davon überzeugt, dass man einen Job nicht nur dann richtig gut machen kann, wenn man einen Titel auf der Stirn trägt. Wer Quereinsteiger beschäftigt, muss aber seine Prozesse anpassen. Sie bringen nicht das gleiche Wissen für den Bereich mit wie eine ausgelernte Fachkraft. Wenn ich diejenigen Mitarbeiter mit richtig guten Fachkenntnissen aber gezielt einsetze, kann ich mit 40 bis 50 Prozent Quereinsteigern ein tolles Team kombinieren, das sogar weitere Kenntnisse mitbringt, die über den Fachbereich hinausgehen. Wer Menschen die Chance gibt, sich auf ihre Stärken zu fokussieren, kann sie schnell aufblühen sehen. Jeder einzelne Mitarbeiter ist für ein Hotel wichtig. Das Zimmermädchen ist genauso wichtig wie der Manager. Wenn das Zimmer nicht sauber ist, kann ich es auch nicht verkaufen.
Wir sind, was die Ausgangsqualifikation von Mitarbeitenden anbelangt, bei einigen Unternehmern noch zu sehr konzentriert auf das, was vor 20 Jahren richtig war. Aber heute gibt es zum Beispiel immer mehr junge Menschen, die ihr Studium abbrechen, weil sie sich dort nicht gut aufgehoben fühlen. Führungskräfte müssen ihren Fokus verstärkt darauf ausrichten, wer vor ihnen steht und weniger darauf, was auf dem Papier steht. Ich selbst lese mir seit Jahren keine Arbeitszeugnisse mehr durch.
Weshalb brechen so viele Jugendliche Ihrer Meinung nach ihre Ausbildung oder ihr Studium ab?
Zu einem großen Teil, weil wir ein Bildungssystem haben, das die neuen Anforderungen unserer Jugend nicht wirklich berücksichtigt. Unsere Jugend ist es immer mehr gewohnt, durch die sozialen Medien Anerkennung zu erhalten. Eine schlechte Klausur oder Ärger mit Kollegen kann daher schnell zu Resignation führen. Unsere Jugend ist es gewohnt, dass alles, was sie tut, ganz schnell geliked wird. Wenn sie nicht sofort Zustimmung erhält oder gar eine Absage, ist sie unzufrieden, und auch der Aufmerksamkeitszeitraum hat sich durch die sozialen Medien um einiges verändert.
Wir müssen sehr bewusst mit der Wertschätzung umgehen, den Menschen ihre Ängste nehmen und gerade junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen – und auch hier ihre Stärken sehen. Sie haben nicht nur Angst vor dem Versagen, sondern auch vor dem wirtschaftlichen Abschwung. Auch die Politik muss den Menschen wieder ihre Ängste nehmen, dazu gehören eine stabile Wirtschaft und eine klare Vision.
Wie wird sich die Hotellandschaft in den kommenden zehn Jahren entwickeln?
Meiner Meinung nach wird es zu weiteren Konsolidierungen kommen. Privathoteliers müssen daher mehr denn je Nischenprodukte schaffen und ihre Stärken betonen. Das kann der herausragende Service sein, aber auch ein einzigartiges Konzept, ein überzeugendes Produkt mit Werten.
Was begeistert Sie persönlich an der Hotellerie?
Ich bin begeistert davon, wie Hotellerie und Gastronomie Menschen zusammenbringen. Wir schaffen besondere Erlebnisse, die unsere Gäste mit nach Hause nehmen. Es ist diese Leidenschaft für Gastfreundschaft, die mich immer wieder inspiriert.