Als selbstständige Beraterin unterstützt Bettina von Massenbach die Branche seit 2012 mit ihrem Unternehmen Oyster Hospitality Management. Daneben engagiert sie sich im Verband Food Service Consultants International (FCSI) Deutschland-Österreich in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und ist Mitglied der Wertekommission. Mit Tophotel spricht sie über Perspektiven und Potenziale der Hotelgastronomie.
Tophotel: Frau von Massenbach, was ist derzeit die größte Herausforderung im F&B-Bereich?
Bettina von Massenbach: Die Balance zwischen der Digitalisierung und den Menschen zu schaffen. Diese Schnittstelle muss sehr bewusst gesetzt werden. An welcher Stelle können wir künstliche Intelligenz implementieren, um Mitarbeitende zu entlasten, und wie gelingt es uns, dennoch das Erlebnis für den Gast so zu gestalten, dass er sich im Hotel ebenso wohlfühlt wie zu Hause?
Welche digitalen Tools empfehlen Sie für die Hotelgastronomie?
Technologische Lösungen wie die Vorbestellung des Frühstücks, eine digitale Speisekarte oder Tischreservierung sind ohne großen Aufwand umsetzbar. Auch Roboterkellner sind ein Gewinn, solange sie zum Konzept passen. Sie können inzwischen zu Tarifen geleast werden, die wirtschaftlich sinnvoll sind. Über eine digitale Küche möchte ich an dieser Stelle nicht referieren, denn dafür gibt es Fachbeiträge oder Veranstaltungen des Verbands FCSI, wo der erste Roboter „Pepper“ schon 2017 einen Auftritt hatte. Wir haben unter anderem Experten zu Cook-and-Chill-Methoden, die eine Möglichkeit bieten, den Gästen frische Speisen zu servieren, ohne eine Küche viele Stunden in Betrieb halten zu müssen.
Es hapert also nicht an technischen Möglichkeiten?
Bei den Menschen hat eine Bewusstseinsänderung eingesetzt. Doch das scheint mir in weiten Teilen noch nicht angekommen zu sein. Im Mittelpunkt eines Unternehmens muss die Vereinbarkeit von ökologischen, soziologischen und ökonomischen Aspekten stehen. Sie greifen wie Zahnräder ineinander. Wir müssen sinnhafter und nachhaltiger handeln und dabei alle Elemente des Getriebes miteinander verzahnen – inklusive der Zulieferer und der Lieferanten bis hin zum Gast. Dazu kommt, dass sich Menschen wegen der Krisenerfahrungen der vergangenen drei Jahre nach Stabilität, Verbundenheit und Verbindlichkeit sehnen. Hier helfen auch langfristige Kooperationen.
Wenn sich Menschen treffen, die eine ähnliche Denkweise haben, können sie gemeinsam sehr viel bewegen. Eine langfristige Partnerschaft, etwa bei der Lieferkette, heißt auch, dass der Gastronom seinen Lieferanten unterstützen sollte, wenn er zu einem spezifischen Zeitpunkt nicht vollumfänglich liefern kann. Wenn beispielsweise der Bauer nicht ausreichend Tiere im schlachtreifen Alter hat, obwohl Lammrücken auf der Karte steht, sollte das Angebot für die Gäste angepasst werden. Ein Tier besteht nicht nur aus Rücken und sollte aus Respekt vollständig verwertet werden. Nachhaltigkeit ist eine 360-Grad-Angelegenheit. Beziehungen zu intensivieren und immer wieder auf neuen Ebenen zu kooperieren, gibt uns Stabilität. Darüber hinaus hat man den Wareneinsatz im Griff.
"Mind-blowing war für mich der Besuch des Mural Farmhouse im Hotel Wunderlocke in München."
Welche gastronomischen Konzepte haben Zukunft?
Ich empfehle nicht, jedem Trend nachzulaufen. Ein Hotelier sollte seinem Konzept treu bleiben, um es konsequent umsetzen zu können. Will er ein Familienhotel, ein Luxushotel oder ein Landgasthof mit Fremdenzimmern? Nur wer seine Zielgruppe kennt, kann Angebot und Service optimal auf sie einstellen. Wer darüber nachdenkt, ein neues Konzept einzuführen, sollte sich die Frage stellen, wo der langfristige Mehrwert liegt und wie dieser über Generationen hinweg Bestand haben kann. Es ist die Zeit der Rückbesinnung und des Aufbaus von Werten als Fundament. Damit verbunden sind Investitionen, aber der Gast wird diesen Aufwand honorieren, da er sich immer wieder aufs Neue mit dem Haus identifizieren kann.
Wie genau sollte der Gastronom vorgehen?
Die Branche, ja eigentlich die ganze Gesellschaft, befindet sich in einem fundamentalen Umbruch, der ein Hinterfragen jeglicher Prozesse mit sich bringt. Es gilt immer wieder zu überlegen, wo sich Dinge optimieren lassen und dabei gleichzeitig die Dienstleistung in den Vordergrund zu stellen, um das Gasterlebnis zu steigern. Nur so kann den Herausforderungen von Preissteigerungen bis zur Inflation begegnet werden. Parallel dazu müssen die Beschäftigten mitgenommen werden, denn ihre Meinung ist entscheidend bei der Umsetzung. Sie sollen Verbesserungsvorschläge unterbreiten und mitüberlegen dürfen, was ihnen die Arbeit erleichtern und den Gästen eine Freude bereiten könnte.
Welche Hotelgastronomie hat Sie in jüngerer Zeit begeistert?
„Mind-blowing“ war für mich der Besuch des Mural Farmhouse im Hotel Wunderlocke in München-Obersendling, ein Konzept der von Wolfgang Hingerl geführten Mural Group. Mit dem Mural Farmhouse realisiert er zusammen mit Küchenchef Rico Birndt mehrere Restaurant-Konzepte über acht Etagen: Frühstück, Lunch, Dinner – lokal, saisonal, Farm-to-Table und Nose-to-Tail. Auf dem Dach befindet sich ein Garten mit Hochbeeten für Kräuter und Gemüse. Alles ist 100 Prozent nachhaltig und unfassbar wertschätzend. Die Mural Group will der Wegwerfgesellschaft in allen Bereichen entgegensteuern. Sie möchte sich mit Produzenten und Produkten identifizieren und präsentiert den Gästen diese Synergie mit hoher Überzeugung.
Sie sind viel unterwegs. Wo lief auf Ihren Reisen im F&B zuletzt etwas aus dem Ruder?
Das war bei einer Tagung in Hessen. Der Hoteldirektor lobte in seiner Begrüßungsrede das Nachhaltigkeitskonzept seines Hauses und betonte, dass es auch beim Frühstück nur regionale Produkte gebe, keine Ananas oder Melone. Und was lag am nächsten Tag auf dem Frühstücksbuffet? Ananas und Melone. Ich empfand es einfach als unglaubwürdig.
Wie sollte ein gutes Frühstück aussehen?
Frühstück ist ein Riesenthema. Auch hier gilt: Es muss zum Konzept passen. Ich begleite derzeit das Maximilian Munich Apartments & Hotel. Dort haben wir uns gefragt, wie das Frühstück am effektivsten den individuellen Bedürfnissen angepasst werden kann. Inzwischen bieten wir unter der Woche erfolgreich ein Grab-and-go-Frühstück an – sprich ein Croissant und einen Kaffee zum Mitnehmen. Somit startet der eilige Gast in den Tag, ohne beim Bäcker abbiegen zu müssen. Besonders am Wochenende sollte das Frühstück so attraktiv präsentiert werden, dass es zum Verweilen einlädt und für jeden etwas dabei ist. Außerdem bin ich ein Fan vom Bio-Frühstück, auch wenn der Gast vielleicht zwei Euro mehr dafür bezahlen muss. Was Wert hat, ist wertvoll und schafft Mehrwert.
Was erwarten Gäste heute von den Mitarbeitenden?
In erster Linie Servicebereitschaft, aber auch ein eher unprätentiöses, persönliches Gegenübertreten. Kleine zwischenmenschliche Gesten werden wichtiger denn je. Und es ist gar nicht schwer, sie sympathisch und überzeugend rüberzubringen. Ob es die Unterstützung beim Gepäck ist, oder einen ausländischen Gast in seiner Heimatsprache zu begrüßen, wenn er ins Restaurant kommt oder im Hotel eincheckt. Sprachprogramme machen es möglich, sich selbst zumindest ein „Herzlich Willkommen“ beizubringen – und der Gast wird sich so leichter zu Hause fühlen. Sobald Mitarbeitende Wünsche erfüllen, wird ihnen Dankbarkeit entgegengebracht. Dies zahlt sich direkt auf ihr Selbstbewusstsein aus.
Wo wollen Sie solch motivierte Mitarbeitende angesichts des Fachkräftemangels finden?
Zuerst sollten wir uns klar machen, dass unsere Generation an der Denkweise der Generationen XYZ nicht unschuldig ist. Wir waren schlechte Vorbilder, haben sehr viel gearbeitet und materielle Werte in den Vordergrund gestellt. Es gab viele familiäre Trennungen, wodurch junge Menschen in Patchwork-Familien aufgewachsen sind. Jetzt stehen sie in der Verantwortung für ihr eigenes Leben und möchten dies anders gestalten. Sie suchen nach Freizeitausgleich bei fairer Bezahlung und wollen sich weiterentwickeln.
Zudem erwarten sie Stabilität, möchten geführt und gefordert werden. Das ist für Vorgesetzte eine zusätzliche Herausforderung, die zur Herzensangelegenheit werden sollte. Der Einsatz für die Mitarbeitenden lohnt sich, um das Loyalitäts-Level in der Branche wieder zu steigern. Grundsätzlich stelle ich langsam einen Sinneswandel fest: Das Ansehen der Branche wird besser als ihr vergangener Ruf. Die zahlreichen Initiativen, das Branchenimage aufzupolieren, scheinen erfreulicherweise perspektivisch zu fruchten.