Christian Etl leitete mehr als zehn Jahre als Direktor das Integrationshotel Masatsch in Südtirol, das unter seiner Leitung unter anderem den Sonderpreis „Hotel of the year 2017“ erhielt. Heute ist er als selbstständiger Berater tätig. Er plädiert dafür, dass Inklusion in der Hotellerie zur Normalität wird. Er hält dies nicht nur für möglich, sondern sieht vielmehr die Chancen, die eine solche Ausrichtung bietet.
Tophotel: Herr Etl, was bedeutet Inklusion?
Christian Etl: Die sogenannten Inklusionshotels haben für mich eher etwas mit Integration als mit Inklusion zu tun. Dort wird eine größere Zahl von Menschen mit Beeinträchtigung in die Arbeitsabläufe integriert. Inklusion bedeutet für mich jedoch, dass jeder Mensch ganz selbstverständlich dazugehört. Dafür müsste die gesamte Wirtschaft, müssten viele Hotels entsprechend offen sein und jeweils ein oder zwei Mitarbeitende mit Beeinträchtigung beschäftigen. Eine solche Entwicklung würde viel mehr Normalität, Vermischung und Chancengleichheit mit sich bringen und Berührungsängste reduzieren.
Halten Sie es für möglich, dass sich die gesamte Branche dahingehend öffnet?
Ich halte es nicht nur für möglich, sondern auch in vielfacher Hinsicht für angeraten. Gerade jetzt ist angesichts des zunehmend dramatischer werdenden Fachkräftemangels ein guter Zeitpunkt, sich mit dem Potenzial dieser Arbeitnehmer-Zielgruppe zu beschäftigen. Ich habe den Eindruck, dass dies auch immer mehr Hoteliers tun.
Was sind die größten Hemmnisse für Inklusion?
Da sind zunächst die Vorurteile und Barrieren in den Köpfen, nicht zuletzt im Management. Vielmals gibt es die Sorge, Mitarbeitende mit Beeinträchtigung seien unkündbar. Das ist jedoch eine Fehlinformation. Wenn die Zusammenarbeit nicht funktioniert, lassen sich Verträge auflösen, zudem sind befristete Beschäftigungen möglich. Der ideale Einstieg für beide Seiten sind Praktika.
Sehen Sie herrschende Vorurteile als hinderlich?
Die Fähigkeiten der Menschen mit Beeinträchtigungen werden oftmals unterschätzt, auch von jenen, die dafür da sind, ihnen zu helfen. So wichtig Behinderten-Werkstätten sind: Dort sind viele beschäftigt, für die auch der erste Arbeitsmarkt möglich wäre. Als ich im Hotel Masatsch startete, wurde mir von Betreuern aus dem Sozialbereich vor allem mitgeteilt, was dieses oder jenes Teammitglied nicht kann. Lukas, der bei einem Autounfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt, ist das beste Beispiel. Es hieß, er könne sehr gut Kaffee kochen, aber nicht den Tisch decken oder kassieren.
Ich habe ihn gefragt: "Lukas, können Sie Tische decken?" Seine Antwort: "Das weiß ich nicht, ich habe es noch nie gemacht." Wir einigten uns darauf, es zu probieren. Heute öffnet und betreut Lukas das Café, das auch von Einheimischen besucht wird, in den frühen Morgenstunden völlig selbstständig, bis im Tagesverlauf mit zunehmender Frequenz personelle Unterstützung hinzukommt.
Eine Kollegin mit Downsyndrom wiederum war die erste, die die Speisekarte auswendig konnte. Diese Menschen haben oftmals besondere Fähigkeiten. Ihre Teilqualifikationen
reichen meistens vollkommen für die jeweilige Aufgabe aus. Vielen merkt man ihre Beeinträchtigung nicht einmal an. Die Aufgabe besteht also darin, für den Einzelnen den individuell richtigen Platz zu finden.
Wie steht es um die Reaktion der Gäste?
Aus Gästesicht sind die Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung sogar ein Pluspunkt. Sie werden als besonders freundlich und dienstleistungsbereit wahrgenommen, weil sie meist für ihre Arbeit brennen. Eventuell müssen Arbeitgeber kleinere Abstriche in puncto Perfektion machen. Dafür kommen die Gastfreundschaft und Authentizität umso mehr an. Die Gäste bevorzugen Mitarbeitende, die lächeln und den Teller von links servieren, gegenüber jenen, die von rechts servieren, dabei aber keine Miene verziehen.
Wie lassen sich Mitarbeitende mit Beeinträchtigung beschäftigen?
Zunächst sollte der Kontakt zu sozialen Trägern oder dem Arbeitsamt gesucht und Praktika mit Arbeitsplatzbegleitung vereinbart werden. Das bedeutet, dass Pädagogen, die für die sozialen Dienste arbeiten, die Aspiranten bei ihrem Einstieg in den Berufsalltag begleiten.
Welche Betreuung benötigen die inklusiven Mitarbeitenden beziehungsweise das Team?
Inklusive Mitarbeitende benötigen Ansprechpersonen. So kann ein Patensystem geschaffen werden, in das erfahrene Teammitglieder eingebunden werden. Ein solches System ist generell für Newcomer im Unternehmen sinnvoll, ob mit oder ohne Beeinträchtigung. Dasselbe gilt für genaue Arbeitsanweisungen, Checklisten und Fotos. Bilder vom perfekt angerichteten Frühstücksbuffet helfen jedem neuen Mitarbeitenden, es am darauffolgenden Morgen wieder genauso zu gestalten.
Worauf kommt es in der Führung an?
Vor allem darauf, klare Ziele zu definieren, sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen Bereich, und diese transparent zu kommunizieren. Während meiner Zeit im Hotel Masatsch hingen das Jahresbudget und der Monatsbericht immer neben dem Dienstplan. Was wir erreicht beziehungsweise nicht erreicht haben, war stets auch Thema der Mitarbeitersitzungen.
Wir haben eine hohe Dienstleistungsqualität angestrebt, denn auch in einen sozialen Betrieb kommen Gäste auf Dauer nur, wenn die Qualität stimmt. Das Team war angehalten, sich mit dem Gäste-Feedback in den sozialen Medien sowie Einträgen im Gästebuch zu beschäftigen. Lob und Tadel sind wichtig. Wenn es Probleme gibt, muss das Team darüber sprechen und an Lösungen arbeiten.
Welche Förderungen gibt es?
Für ein normales Hotel, das eine kleine Anzahl Mitarbeitende mit Beeinträchtigung beschäftigen will, sind Förderungen eher uninteressant. Förderungen, etwa über das Amt für Integration oder die Aktion Mensch, kommen eher gemeinnützigen Organisationen zugute, wie den Integrationshotels, die meist soziale Träger haben. Aber man profitiert von niedrigeren Sozialabgaben beziehungsweise dem Wegfall der sonst teils fälligen Ausgleichszahlungen – und von den Möglichkeiten im Marketing nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber.
Welche Hotels zum Thema Inklusion dienen als Best-Practice-Beispiele?
Die spezialisierten Embrace-Hotels sind sicher hilfreiche Adressen. Die Hotelkette Scandic ist vorbildlich und beschäftigt eigens einen Manager für das Thema, zu dem hier maßgeblich auch die Barrierefreiheit gehört. Zero Project heißt eine spannende Initiative der österreichischen Essl Foundation, hier finden sich weitere Beispiele, darunter das Bio-Natur-Resort Retter.
Stefanie Hütz
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#Monotalk: Anna Heuer über Sales & Marketing
Anna Heuer ist seit April 2020 Verbandsgeschäftsführerin der HSMA. Zuvor war sie viele Jahre lang in Führungspositionen im Sales, Marketing und Revenue Management tätig. Im Gespräch mit Tophotel analysiert sie die Trends und Entwicklungen beim Vermarktungsprozess von Hotels. Jetzt lesen!