Coaching Alle auf die Couch?

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In Zeiten großer Herausforderungen wie der aktuellen Krisen gewinnen Resilienz und Stressbewältigung stark an Bedeutung. © Dimitri Dell

In Krisenzeiten gewinnen Resilienz und Stressbewältigung an Bedeutung. Immer mehr Hoteliers und Führungskräfte lassen sich coachen oder bieten ihren Teams entsprechende Trainings an, um Mehrwert zu schaffen.

Alle auf die Couch? Das klingt so provokant, dass Jochen Becker, Coach und Mentaltrainer aus Hoogstede, direkt klarstellt: „Der Coach wird mitunter mit einem Psychotherapeuten verwechselt. Meine Coaching-Kunden kommen jedoch gut ohne Couch aus, sie sind aktive Persönlichkeiten. Sie haben erkannt, dass sie schwierige Themen mit externer Begleitung schneller und besser lösen und dadurch in ihrem Leben und ihrer Karriere weiterkommen.“

Kirsten Herrmann, Geschäftsführerin des Viersterne-Hauses Hotel Hafen Flensburg, berichtete unlängst im Tophotel-Monotalk, dass Jochen Becker sie schon seit längerer Zeit unterstütze, sich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln. Ihre Überzeugung: „Stillstand ist der Tod. Ich glaube, wir brauchen immer wieder jemanden mit neutralem Blick von außen.“ Eine Erkenntnis lautet: „Klarheit vor Harmonie.“ Herrmann sagt: „Ich spreche Herausforderungen inzwischen bei jedem Crew-Mitglied früh und direkt an. Meine Tür steht auch in umgekehrter Richtung immer offen. Die Personalführung ist dadurch persönlicher, ja auch anstrengender geworden. Aber wir lösen Probleme, bevor sie groß werden. Das stärkt zugleich die Bindung.“ In den Coachings mit Jochen Becker „bearbeitet“ Kirsten Herrmann neben Aspekten der Personalführung auch Zeitmanagement oder die Bewältigung von Krisen. Und Krisen gab es mehrere, da das Hotel Hafen Flensburg seit der Eröffnung im Jahr 2016 schon dreimal massiv von Hochwasser betroffen war.

"Den größten Bedarf an Coaching sehe ich zum Thema Resilienz: Menschen benötigen Unterstützung, mit unsicheren, dynamischen Zeiten umzugehen."

Bodo Janssen, CEO der Upstalsboom-Gruppe

Mit Extremereignissen musste auch Bodo Janssen in seinem Leben umgehen. Als 24-Jähriger wurde der Unternehmersohn in den 1990er-Jahren entführt. 2007, nachdem sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, übernahm er die Leitung der Upstalsboom-Gruppe – und wollte zunächst „möglichst hohe Gewinne erzielen“. Nach klassischen betriebswirtschaftlichen Maßstäben waren die Hotels und Ferienwohnungen erfolgreich. „Doch eine Mitarbeiterbefragung fiel vernichtend aus.“ Bodo Janssen ging ins Kloster und begann, intensiv an sich zu arbeiten. „Nur wer sich selbst führen, kann andere führen“, lautete sein Anspruch. „Von der Angst zur Stärke“, heißt eines der Bücher, die er seither geschrieben hat. „Das neue Führen“ ist der Titel seines jüngsten Werks. Für seine Unternehmen gilt heute der Leitsatz „Wertschöpfung durch Wertschätzung“. Bodo Janssen gründete die Unternehmenssparte Upstalsboom Wegbegleiter und startete das interne Programm „Curriculum“ zur persönlichen und beruflichen Entwicklung seiner Teams. Die Ergebnisse seit 2013: „Eine deutlich gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit und Bewerberrate, eine merklich gesunkene Krankheitsquote und eine sehr hohe Weiterempfehlungsrate der über 300.000 Gäste im Jahr.“

Wirkung auf den Geschäftserfolg

Positive Folgen, die auch Dominic Müller für sein Hotel Ritter Durbach in ähnlicher Form bestätigen kann. Der Eigentümer und Gastgeber hat sich „schon immer für Psychologie interessiert. Die Corona-Zwangspause nutzte er, um sich nach dem „St. Galler Coaching Modell“ ausbilden zu lassen, zunächst als Einzelcoach, dann als Business- und Teamcoach und schließlich als Master of Coaching. „Das hilft mir, Menschen ganz allgemein und meine Mitarbeitenden besser zu verstehen. Unsere Führungs- und Unternehmenskultur hat sich deutlich verändert. Ich halte mich jedoch strikt an die goldene Regel, nicht im eigenen System zu coachen, denn ich könnte Teil des Problems sein.“

Stattdessen setzt Müller auf die Unterstützung durch externe Coaches, Berater und Trainer. Mitte September fand eine Resilienzschulung statt, „denn wir bemerken, dass bei vielen die Belastbarkeit ab- und die Erschöpfung zunimmt. Im Anschluss konnten individuelle Einzelcoachings wahrgenommen werden. Aktuell bereiten wir außerdem eine Anti-Social-Media-Kampagne vor. Wir verteufeln die Netzwerke nicht, die wir ja selbst zur Vermarktung nutzen. Aber wir möchten Wege zu einem bewussteren Umgang aufzeigen, da wir negative Auswirkungen bemerken und auch von unseren Mitarbeitenden gespiegelt bekommen“, so Müller.

Bodo Janssen sieht den höchsten Coaching-Bedarf in Team und Gesellschaft ebenfalls „beim Thema Resilienz – also Menschen dabei zu unterstützen, mit unsicheren, dynamischen Zeiten umzugehen“. Mirco Hitzigrath, Geschäftsführer von Upstalsboom Wegbegleiter, bringt es präzise auf den Punkt: „Menschen zu stärken verstehen wir tagtäglich als unsere Aufgabe. Es geht vor allem darum, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, um sich mental nicht von den vielen Unwägbarkeiten tangieren zu lassen, Grenzen zu setzen und diese zu wahren sowie Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.“ Für die Mitarbeitenden gibt es feste Schulungstermine und bei Bedarf zusätzliche Optionen in Form offener Formate.

Beratung ermöglicht Perspektivwechsel

Transparente Kommunikation, klare Aufgabenverteilung, Erwartungsformulierung, Lösungsorientierung und ­psychologische Sicherheit – dies sind bei den Seminaris Hotels die Themen, die Mitarbeitende beschäftigen. Laut CEO Jochen Swoboda wurden sie als Entwicklungsfelder bei Workshops identifiziert, sowohl unter Teilnehmenden unterschiedlicher Generationen als auch in einer Gen-Z-Veranstaltung. Swoboda hat ein berufsbegleitendes Studium der Wirtschaftspsychologie absolviert. „Seit 2019 transformieren wir unsere Organisationsstruktur. Dabei steht die Entwicklung der Menschen im Mittelpunkt.“

Zunächst hat Jochen Swoboda die Führungskräfte mit Leadership-Coachings begleitet. „Inzwischen tragen sie dieses Wissen an die Abteilungsleiter weiter.“ Zudem wurde für alle Mitarbeitenden das interne Entwicklungsprogramm „Needs“ geschaffen. Es bietet fachspezifische Trainings und das Mentoringprogramm „Dreams“ zur Weiterbildung und Persönlichkeitsentwicklung. Dafür wurden Mentoren im Unternehmen ausgebildet. Das Austauschformat „Peers“ versorgt die Führungskräfte mit frischen Impulsen.

„Beratung von außen ist uns wichtig, um wertvolle Perspektivwechsel zu ermöglichen. Daher arbeiten wir mit der Organisationsentwicklerin Simone Bromma von Beyond Outcome zusammen. Anna Volquardsen und Lena Mardon begleiten uns mit kreativen Ansätzen und auf dem Weg zu einer neuen Arbeitskultur. Darüber hinaus haben wir ein großes Netzwerk an weiteren Trainern, Coaches und Moderatoren, die uns als Sparringspartner unterstützen“, erzählt Swoboda. Das Ergebnis: „Die Bereitschaft zur Veränderung ist unter unseren Mitarbeitern gestiegen. Das führt zu einer flexibleren und agileren Arbeitsweise. Unsere Coaching-Angebote haben außerdem eine Kultur des Miteinanders und der Kollaboration gefördert. All das trägt entscheidend zu unserem wirtschaftlichen Erfolg bei.“

TIPP: In Tophotel 12/2024 greifen wir zusätzlich das Thema „Coaching als ­Geschäftsmodell“ auf.

Ausbildung zum Systemischen Coach

Merle Losem
Merle Losem, Geschäftsführerin der Deutschen Hotelakademie (DHA). - © Alexander Scheuber

Frau Losem, wie kam es dazu, dass Sie systemisches Coaching anbieten?

Teams und Führungskräfte in der Hotellerie stehen heute täglich vor enormen Heraus­forderungen und Veränderungen. Erfolgreiches Selbstmanagement und psychische Widerstandskraft werden immer wichtiger, zugleich wird der Ruf nach Work-Life-Balance und Sinnerfüllung lauter. Mitarbeiterzufriedenheit wiederum ist ein Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg. Führungskräfte brauchen daher einen neuen Blick auf ihre Aufgaben, entsprechendes Fachwissen, Kompetenzen und Methodik. All das bietet der Ansatz des systemischen Coachings. Und so haben wir 2022 mit einem Team aus erfahrenen Fachleuten – Coaches und Psychologen – mit der Entwicklung der berufsbegleitenden Ausbildung begonnen. Seit August 2023 haben wir die staatliche Zulassung für den Diplomkurs.

Wie ist die Nachfrage aus der Hotellerie?

Im August 2024 starten wir bereits mit dem fünften Kurs. Wir sehen auf Seiten von Unternehmen und Führungskräften großes Interesse, sich „fit“ zu machen.

Wer sind Ihre Teilnehmenden?

Zum einen Führungskräfte aus dem Operations-Bereich, die in den Unternehmen übergreifend verantwortlich sind für Teams, Schnittstellen und Prozesse. Zum anderen sind es die HR- und Trainingsverantwortlichen.

Wie lässt sich das erworbene Wissen ganz ­konkret in den Hotelalltag integrieren?

Zunächst profitieren die Teilnehmenden selbst. Denn zur Coaching-Ausbildung gehört immer die „Selbsterkenntnis“. Kommunikationsfähigkeiten verbessern sich, was sowohl im Umgang mit Gästen als auch intern von großem Vorteil ist. Durch die Anwendung des Erlernten können Führungskräfte ihre Teams besser motivieren und deren Potenziale gezielt fördern. Konflikte können effektiver gelöst werden. Weitere Anwendungsfelder sind Mitarbeitergespräche und Feedbackrunden, Teambuilding-Maßnahmen und die strategische Planung.