Migration und Integration im Arbeitsmarkt stärkt die Wirtschaft. Das zeigt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Deutlich wird auch: Die Gastwelt besitzt Potenzial, Menschen aus dem Ausland effizient einzugliedern.
Im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 ist Migration ein großes Reizthema. In der Gesellschaft haben sich Vorurteile verfestigt und die Begriffe „Flüchtlinge“ und „qualifizierte Arbeitskräftezuwanderung“ werden in der öffentlichen Debatte oft vermischt. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO im Auftrag der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) zeigt nun aber auf: Menschen aus dem Ausland in den Arbeitsmarkt zu integrieren, stärkt das Sozialsystem und sichert den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Studie zufolge besitzt vor allem die Gastwelt großes Potenzial, um Zuwanderer langfristig zu beschäftigen.
Ohne ausländische Fachkräfte wird es schwierig mit dem Wohlstand
Pro Jahr sind laut Bundesagenturfür Arbeit (BA) mehr als 400.000 Einwanderer erforderlich, um den Fach- und Arbeitskräftemangel zu kompensieren. Allerdings kämen derzeit zu wenige qualifizierte Migranten nach Deutschland. Im OECD-Vergleich wurde die Bundesrepublik unattraktiver und rangiert bei der „Fachkräfte-Attraktivität 2023“ noch auf Platz 15 (2019: Platz 12). Arbeitsmarktpotenzial gebe es besonders bei Geflüchteten. Deren Beschäftigungsquote liege aktuell bei lediglich 70 Prozent.
Vanessa Borkmann, Leiterin des Forschungsbereichs „Stadtsystem-Gestaltung“ am Fraunhofer IAO und Autorin der Studie, erläutert den akuten Handlungsbedarf: „Mit jedem, den wir in eine Beschäftigung bringen, entlasten wir die Sozialsysteme und stärken unsere Volkswirtschaft. Ihr besonderes Augenmerk sollte die Politik daher auf die spezifischen Bedürfnisse der Gastwelt richten, die in Sachen Integration besonders effektiv unterwegs ist.“
Auch DZG-Vorstandschef Marcel Klinge hat eine klare Forderung: „Wir brauchen mehr qualifizierte Zuwanderung, um den Wohlstand in unserer immer älter werdenden Gesellschaft dauerhaft zu sichern.“ Das Problem: „Wir wissen diesen Hebel aktuell noch nicht richtig zu nutzen.“ Würden Menschen aus dem Ausland schneller und effektiver integriert, wachse die Volkswirtschaft und bringe dem Staat Steuereinnahmen.
In der Gastwelt mindestens 65.000 Mitarbeiter
Diese Einschätzung belegen auch aktuelle Zahlen des Fraunhofer IAO in der Studie: So haben in der Hospitality mehr als 40 Prozent der Beschäftigten eine Einwanderungsgeschichte, in der Gesamtwirtschaft trifft das lediglich auf 15 Prozent zu. Während die Gastwelt an der direkten Beschäftigung bundesweit einen Anteil von sechs bis sieben Prozent ausmacht, arbeiten hier bereits 12 Prozent der Geflüchteten, die sich derzeit in Deutschland aufhalten. Das sind laut Studie knapp 150.000 Personen, die nicht mehr auf soziale Sicherung angewiesen sind, weil sie ein eigenes Einkommen erzielen.
Doch diese Menschen reichten nicht aus, um eine Personallücke zu schließen, die sich im Zuge des demografischen Wandels stetig vergrößert und zwangsläufig die Wertschöpfung des Dienstleistungssektors mindert. Tatsächlich fehlten dem gesamten Dienstleistungssektor derzeit zwischen 120.000 bis 145.000 Arbeitskräfte, allein in der Hospitality seien es mindestens 65.000 Mitarbeitende. Das Fraunhofer IAO geht davon aus, dass sich der Mangel mit dem Rückzug der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt bis Anfang der 2030er-Jahre auf bis zu 600.000 fehlende Beschäftigen erhöhen könnte. Das bedeutet: Die Gastwelt braucht bessere Möglichkeiten, Geflüchtete und Zuwanderer schnell und effizient einzubinden. Und sie benötige laut der Experten mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Das wünscht sich die Gastwelt von der Politik
Doch im Ausland erworbene Qualifikationen würden häufig nicht oder erst mit langen Verzögerungen anerkannt. Für Verzögerungen auf dem Weg in eine Beschäftigung sorge immer wieder auch die Bearbeitungszeit für Arbeitsvisa und Arbeitserlaubnisse für Nicht-EU-Bürger. Außerdem braucht es, so die Fraunhofer-Expertinnen, bezahlte berufsorientierte Sprachförderprogramme, Weiterbildungs- und Beratungsangebote sowie Hilfe für Zuwanderer bei der Navigation durch Behörden und bei ausländerrechtlichen Fragen. Wichtig für die Betriebe der Gastwelt sei außerdem eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, die es den Betrieben ermöglichen würde, Teilzeit- und Schichtmodelle umzusetzen – das könnte helfen, weitere Arbeitskräfte zu mobilisieren, vor allem Mütter mit Migrationshintergrund. Flexible Arbeitszeiten ermöglichten es gerade auch diesen, Familie und Job unter einen Hut zu bringen.
„Mehr Beinfreiheit“ und Integrationsfonds können helfen
„Die Parteien in Berlin sollten endlich erkennen, welch großes Integrationspotenzial unser Dienstleistungssektor besitzt, und diesen Hebel aktiv nutzen. Denn die Gastwelt kann noch mehr tun, wenn die Politik einen Rahmen dafür setzt und uns mehr Beinfreiheit in der Praxis lässt“, sagt DZG-Vorstandschef Klinge. Er macht sich für eine systematische Integration stark, wie sie in Ländern stattfindet, die mit Deutschland im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte stehen und für Migranten als attraktivere Gastländer gelten. Österreich oder Kanada etwa bieten jeweils ein Integrationsjahr für Geflüchtete an. Österreich hat einen Integrationsfonds auferlegt, um Sprachkurse und Arbeitsmarktintegration zu finanzieren.
Die vorgestellten Ergebnisse beziehen sich auf die erste „Schwerpunkt-Gruppe“ der Studie, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Flüchtlinge. Alle Erkenntnisse zur zweiten Fokus-Gruppe, nämlich junge Menschen ohne Berufsabschluss in Deutschland (knapp drei Millionen Personen), werden am 14. Januar 2025 separat vorgestellt. red/uls
Denkfabrik Zukunft der Gastwelt
Die 2021 gegründete Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) vernetzt Politik, Verbände und Vertreter aller Wertschöpfungssektoren der Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie (z.B. Radeberger Gruppe, Deutsche Bahn, Unilever Food, Motel One, Transgourmet, Metro, Center Parcs, Dorint, Bioland, Dussmann, NordCap, Best Reisen, Rational, Gerolsteiner). Der interdisziplinäre Thinktank kümmert sich inhaltlich vor allem um strategische Zukunftsthemen wie Mitarbeitergewinnung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungswende. Die Mitgliedsunternehmen der Denkfabrik beschäftigen nach eigenen Angaben in Summe mehr als 672.000 Mitarbeitende in allen Regionen Deutschlands. Finanziert und getragen wird der Thinktank von der Union der Wirtschaft e.V.