Luxushotellerie Six Senses bleibt wählerisch

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Polyglotter Weltbürger und Feingeist: Six-Senses-CEO Neil Jacobs. © @S&M

Die Luxushotelmarke wächst in Europa. Bei einem Stopover in München haben wir mit CEO Neil Jacobs über Projekte, das neue Clubkonzept und Wellnesstrends gesprochen.

Herr Jacobs, die Marke Six Senses steht für Wellness, Nachhaltigkeit und ungewöhnliche Standorte. Ein Projekt, mit dem Sie für Aufsehen sorgen, ist das Six Senses Svart am Fuße des Svartisen-Gletschers in Norwegen. Hier wollen Sie erstmals ein energiepositives Hotel in Ringarchitektur an den Start bringen. Momentan ist es um das Projekt allerdings etwas still geworden. Wie geht es damit voran?

Neil Jacobs: Wir haben noch nicht mit dem Bau beginnen können, weil uns noch nicht alle Genehmigungen vorliegen. Der für dieses Jahr angekündigte Eröffnungstermin wird sich daher noch mindestens um zwei Jahre verschieben. Wir werden also frühestens 2026 starten.

Was genau macht das Hotel so besonders?

Den Bauherren und Entwicklern ist nachhaltiges Bauen sehr wichtig, sie kennen sich sehr gut damit aus. Gemeinsam tun wir alles, um die besten klimaneutralen Lösungen zu finden. Angefangen bei der Bauweise über die Infrastruktur bis hin zur Art der erneuerbaren Energieerzeugung – also all den Faktoren, die für ein kohlenstoffneutrales Gebäude notwendig sind. Die Umsetzung ist nicht einfach, das beginnt schon bei den Baumaterialien wie CO²-neutralem Beton. Und natürlich wird auch der Betrieb durch Six Senses Einfluss auf das Ergebnis haben, aber das macht nur einen kleinen Teil der Infrastruktur aus, die wir hier aufbauen.

Ist das Svart als Blaupause für Ihre künftigen Entwicklungen gedacht?

Da wir nur Betreiber und nicht Eigentümer des Projekts sind, lässt sich das nicht pauschal beantworten. Ob das Hotel zur Blaupause wird, hängt sicherlich vom Ergebnis und dem Erfolg des Projekts ab. Und da es unser erstes klimaneutrales Hotel ist, möchte ich Nummer eins erst einmal richtig machen, bevor wir uns an Nummer zwei, drei oder vier heranwagen. Wir haben den Anspruch, ein nachhaltiges Unternehmen zu sein. Das berücksichtigen wir beim Bau all unserer Häuser. Unser Wunsch bezüglich Svart ist es, dass wir mit dem Projekt zwei, drei Themen noch stärker voranbringen können als wir es bisher getan haben. Und danach wird sich zeigen, wie es in Zukunft weitergeht. 

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In the Making: Das Six Senses Svart am Fuße des Svartisen-Gletschers ist das erste Projekt der Marke in Norwegen. Eigentümer ist Svart Eiendom AS, die Architektur kommt vom Büro Snøhetta. - © Six Senses

Projekte wie das Svart oder auch das im September eröffnete Six Senses Kanuhura auf den Malediven befinden sich in direkter Meeresnähe. Machen Sie sich angesichts eines prognostizierten Meeresspiegel­anstiegs infolge des Klimawandels keine Sorgen, dass diese Häuser irgendwann betroffen sein werden? Wie gehen Sie mit diesem Thema um?

Klar machen wir uns Sorgen, auch um Miami und viele andere Küstenstandorte. Vor 30 Jahren gaben Wissenschaftler den Malediven noch 20 Jahre, damit lagen sie falsch. Vielleicht haben wir also noch zehn, 20 Jahre, wer weiß das schon? Das Risiko wird gleichzeitig immer größer, an diesen Standorten zu investieren, und doch hält es niemanden davon ab, dort zu bauen. Die Leute wollen auf die Malediven reisen, solange es möglich ist. Das macht es nicht besser, doch es zerstört auch keine Umwelt, wenn sie vor Ort nachhaltig bauen. Die Immobilieneigentümer werden also weiterhin ihr Okay geben, solange sie das Risiko für kalkulierbar halten.

2019 kündigten Sie an, dass die Marke in den nächsten Jahren auf mehr als 60 Hotels anwachsen will, dann kam Covid. Sind Sie noch auf Kurs?

Ja, basierend auf unserer jetzigen Projekt-Pipeline. In vier Jahren werden wir bei 50 Hotels stehen, also doppelt so viele wie heute. Bis 2030 sollen es 70 oder 80 Häuser sein. Doch die viel wichtigere Frage, über die wir intern immer wieder diskutieren, ist: Wie viele Hotels sind zu viel? Uns war es nie wichtig, möglichst viele Hotels zu haben. Sondern es geht uns vielmehr darum, dass jedes neu begonnene Hotelprojekt auch einen kreativen Beitrag zur Marke als solche leistet.

Wie stellen Sie das sicher?

Unser Anspruch ist es, dass jede Neueröffnung mindestens genauso gut sein muss, wenn nicht sogar besser, als alles, was wir bis dahin gemacht haben. Denn sollten wir zwei oder drei Hotels weniger gut machen, würde sich das auf die gesamte Marke auswirken. Wir sind also sehr vorsichtig und sehr wählerisch bei der Wahl unserer Projektpartner und Standorte. Es ist mir egal, ob wir 50 oder 60 Hotels machen, es geht um Qualität und Integrität, darum, wie wir die Marke weiterwachsen lassen und ihre Werte dabei lebendig halten können. Alle unsere Hotels sehen unterschiedlich aus, aber die Werte müssen in jedem Haus auf die gleiche Weise zum Ausdruck kommen. Das ist das Wichtigste.

Welche Expansionsziele haben Sie für Europa?

Neben unseren sieben bestehenden Hotels und Resorts in Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, der Schweiz und der Türkei haben wir in Europa rund 15 Projekte in der Entwicklung. Entsprechend haben wir hier inzwischen mehr zu tun als in Asien, wo wir längst nicht mehr so schnell wachsen. Europa ist damit nach Asia & Pacific der Markt mit unseren meisten Standorten. Infolgedessen haben wir einen Großteil unseres Hauptsitzes – sprich Finanzabteilung, Marketing, Vertrieb – von Bangkok nach London verlegt. Dabei ging es nicht zuletzt auch um das Wohlergehen unserer Mitarbeiter, denn die angesichts der Zeitverschiebung entstandenen Nachtschichten waren für uns als Wellness-Unternehmen nicht mehr tragbar.

Wie sieht es mit einem Six Senses in Deutschland aus?

Deutschland wird kommen. Im Moment haben wir aber noch nicht die richtige „Opportunity“ gefunden.

Seit 2019 gehört Six Senses zur Markenfamilie von Intercontinental Hotels (IHG). Wie hat sich die Zusammenarbeit seither entwickelt?

Durch das Zusammengehen mit IHG haben wir Zugriff auf Infrastruktur, Backoffice und IT-Systeme der Hotelgruppe erhalten, was uns selbst mit damals 16 Häusern so nicht möglich gewesen wäre. Beispielsweise ist unsere Buchhaltung heute nach Indien outgesourct. Das alles hat geholfen, unsere Marke weiter auszubauen und Zugang zu Märkten zu bekommen, die wir vorher nicht bearbeitet haben, etwa Amerika oder China.

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Das Club-Konzept Six ­Senses ­Place startet als erstes in ­London. Hier sollen Gäste ihre ­Wellness-Vorsätze aus dem ­Urlaub weiterverfolgen können. - © Six Senses

Im März vergangenen Jahres haben Sie das erste Stadthotel in Rom eröffnet – werden weitere folgen?

Ja, die gibt es. Mit dem Six Senses Rome haben wir nun erstmals ein Stadthotel direkt im Zentrum einer Metropole. Das nächste Stadthotel folgt voraussichtlich im April/Mai in Kyoto, Japan. Zum Jahresende starten wir in London, 2025 in Lissabon. Außerdem planen wir ein Haus außerhalb von Madrid. Wir bevorzugen Gateway Cities, sprich Städte, in denen es viel Leisure Business gibt. Wir sind bestrebt, die globale Präsenz von Six Senses zu erweitern und die Werte der Marke an urbane Umgebungen anzupassen. Entsprechend sind wir dabei, auch Paris und New York auf den Weg zu bringen.

Für nächstes Jahr ist ein Six Senses in Tel Aviv geplant. Wie agieren Sie hier angesichts der politischen Situation vor Ort?

Es ist furchtbar, was dort gerade passiert, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass das Hotel gebaut werden wird. Ob wir nun 2025 oder erst 2026 fertig werden, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig denke ich, dass die Auswirkungen dessen, was gerade in Israel passiert, erheblich sein werden. Unser bestehendes Hotel in der Negev-Wüste, das Six Senses Shaharut, haben wir geschlossen, denn wer mag dort aktuell Urlaub machen? Ich denke, der Nahostkonflikt hat das Potenzial, Reisemuster zu verändern und wird sich auch auf Reisen nach Europa auswirken. Gerade die Amerikaner sind sehr empfindlich, und Nahost könnte ihnen möglicherweise zu nah an Europa sein. Entsprechend könnte sich ein Teil des Geschäfts nach Asien verlagern, so meine Einschätzung.

Was hat Sie dazu bewogen mit der Marke Six Senses auch in Städte zu gehen?

Das hängt damit zusammen, dass die Menschen zwar Städteurlaub machen wollen, aber möglichst nicht in einem Businesshotel. Als freizeitorientiertes Resort-Unternehmen mit Augenmerk auf Wellness und Nachhaltigkeit haben wir hier natürlich Vorteile. Wellness ist unserem Verständnis nach in einer städtischen Umgebung fast noch wichtiger, als in einem Resort. Schließlich kehren die meisten Menschen nach einem Resort-Urlaub mit mehrtägigem Wellness-Programm zwar mit vielen guten Vorsätzen nach Hause zurück, nur sind diese spätestens nach einer Woche wieder vergessen.

Wenn wir jedoch in den Heimatstädten dieser Gäste sind, haben wir viel eher die Chance, sie weiter zu unterstützen – und damit auch in unsere Stadthotels zu holen. Deshalb haben wir ein Social- und Wellness-Club-Konzept namens Six Senses Place entwickelt. Dort kann im eigenen Tempo das fortgesetzt werden, was im Urlaub begonnen wurde. Und da heute 70 Prozent unserer Hotelangebote über eine Wohnkomponente verfügen, ergänzt der Club zugleich unser Ökosystem aus Hotels und Residenzen. Unser Ziel dabei ist es, eine Verbindung zu schaffen und das Leben der Menschen durch Wellness zu verbessern.

"Die ­Menschen wollen ­diese Art von ­Momenten, die sich nicht wiederholen ­lassen.“

Wann und wo startet der erste Club?

Der erste Six Senses Place wird Ende des Jahres im Six Senses London – 110 Hotelzimmer, 14 Residenzen – eröffnen. Hier sollen Wellness, Gemeinschaft und Feiern zusammentreffen, es gibt Wellness- und Gemeinschaftsräume sowie ein eigenes Restaurant. Die Programme drehen sich um ­Longevity Wellness, gesunden Schlaf, spirituelles Wachstum, Reflexion und Rückverbindung. Wir wollen ein offenes, soziales Regenera­tionsumfeld schaffen, das sowohl Hotelgäste als auch die lokale Gemeinschaft anspricht, ohne dabei wie eine Klinik zu wirken. Wir bieten ein Membership-Modell mit verschiedenen Mitgliedschaften. Mitglieder zahlen eine Aufnahmegebühr und einen jährlichen Mitgliedsbeitrag. Für die Bewohner unserer angeschlossenen Residenzen – 65 Prozent der Wohnungen sind verkauft – ist die Mitgliedschaft in den ersten beiden Jahren im Preis der Wohnung inbegriffen, Hotelgäste sind temporäre Mitglieder.

Six Senses bietet eine große Bandbreite individueller Hotels. Wer entscheidet, welche Projekte es ins Portfolio schaffen, was sind die Entscheidungskriterien?

Ein sehr wichtiges Entscheidungskriterium ist der Standort. Wir sind bekannt dafür, ungewöhnliche Orte für unsere Hotels zu wählen. Außerdem schauen wir auf die Eigentümer: Haben sie eine Vision, sind sie kompatibel mit unsere Markenwerten, haben sie das Budget, um ein Six Senses auf dem Niveau aufzubauen, das es braucht? Alle diese Faktoren, müssen positiv sein, damit wir den Zuschlag geben.

Sie haben die Residences und das neue Club-Konzept angesprochen – bedeutet das auch Veränderungen für die Markenstrategie?

Nein, eigentlich nicht, aber natürlich haben wir in den vergangenen 30 Jahren eine Reise gemacht – von der eigentümergeführten Version eins, die 18 Jahre Bestand hatte, bis zur heutigen Version drei, seit wir mit IHG zusammenarbeiten. Das hat die Marke auf gute Art und Weise verändert, ohne ihr jedoch ihre Identität zu nehmen. Darüber hinaus gewinnt das Segment Residences immer mehr an Bedeutung. Doch noch gibt es nur sehr wenige Hotelgesellschaften, die sich wirklich mit Markenresidenzen beschäftigen. Das ändert sich gerade. Wir selbst stehen hier eher am unteren Ende, was die Anzahl der Einheiten betrifft, doch wir spielen ganz vorn mit, was das prozentuale Wachstum angeht.

Neil Jacobs

Neil Jacobs ist seit 2012 als Hauptgeschäftsführer für die Luxusmarke Six Senses Hotels & Resorts verantwortlich. Unter seiner Führung hat das Unternehmen Resorts in Bhutan, Kambodscha, Fidschi, Portugal, die Türkei und die ­Seychellen eröffnet. Bevor der gebürtige Brite zu Six Senses kam, war er in leitender Funktion bei Four Seasons Hotels and Resorts tätig und dort für den gesamten asiatisch-pazifischen Raum zuständig. Anschließend leitete er die Luxushotels der Starwood Capital Group und verantwortete die Entwicklung der Marken Baccarat Hotels und 1 Hotels. Jacobs hat Hotelmanagement an der University of Westminster in London, Französische Zivilisation an der Pariser Sorbonne und Italienische Kultur und Kunst in Florenz studiert. Er spricht sechs Sprachen.

Wellness gehört zur DNA von Six Senses – welche Trends nehmen Sie wahr?

Der Trend geht hin zu größeren Einheiten und Zimmern, zu Familienzimmern und Suiten mit zwei oder drei Schlafzimmern. Generationenübergreifendes Reisen nimmt zu – Eltern, Großeltern und Kinder machen gemeinsam Urlaub. Materielles Wohlbefinden wird immer wichtiger, aber auch Nachhaltigkeit. Hier ist die Hotelbranche noch mehr gefragt. Jeder Schritt, und sei er noch so klein, ist ein guter Schritt.

Außerdem wollen Gäste einen Mehrwert haben, gerade wenn sie 1.000 Euro und mehr pro Nacht für ein Zimmer zahlen. Dann geht es nicht nur um exklusive Strandlage, sondern um Erfahrungen. In Bhutan könnte ich sie beispielsweise persönlich dem König vorstellen, sie könnten die Nummer eins der Buddhisten im Land treffen. Es sind solche Dinge, die den Wert schaffen. Und die Gäste, die sich die Preise unserer High­end-Hotels leisten können, sind heute mehr an dieser Art von Erfahrungen interessiert, als an einem weiteren Auto oder Besitz. Die Menschen wollen diese Art von Momenten in ihrem Leben, die sich nicht wiederholen lassen.

Künstliche Intelligenz ist ein Trend-Thema? Wie gehen Sie hier vor?

Fragen Sie mich nicht, wie wir vorgehen, denn ich weiß es nicht (lacht). Was ich weiß, ist, dass das Thema kommt und dass wir versuchen werden, ein Gleichgewicht zwischen High Tech und High Touch herzustellen. Ich denke, künstliche Intelligenz kann Gastfreundschaft niemals ersetzen, doch wir können KI auch nicht ignorieren. Es gilt also dranzubleiben.

Angesichts der vielen Hotelprojekte, die Sie in den vergangenen Jahren bei Six Senses begleiten durften, welcher Standort fehlt Ihnen ganz persönlich noch im Portfolio?

Oh, da gibt es viele Orte – von Afrika bis Südamerika. Ich wäre gern in der Inka-Stadt Machu Picchu in den peruanischen Anden, aber auch Island finde ich spannend. Ein Wunschort, den wir bereits dieses Jahr realisieren können, ist Japan, wo wir im Six Senses Kyoto meine Version eines japanischen Ryokan, eines japanischen Gästehauses, umsetzen. Auch in Alaska haben wir ein Projekt laufen. Noch gibt es Schwierigkeiten bei der Finanzierung, doch ich bin zuversichtlich.

Six Senses

Six Senses betreibt derzeit 23 Hotels und Resorts in 18 Ländern und hat weitere 43 Objekte in der Entwicklungspipeline. 2024 eröffnen das Six Senses La Sagesse auf Grenada in der Karibik, das Six Senses Kyoto in Japan und das Six Senses London. Neue Projekte in Israel, Saudi-Arabien, Indien, Mexico, Island und auf den Galapagosinseln wurden bereits bestätigt. Die Marke Six Senses, die seit 2019 zu den IHG Hotels & Resorts gehört, gilt als Vorreiterin für Wellness, Nachhaltigkeit, emotionale Gastfreundschaft und das Schaffen von einmaligen Reise-Erlebnissen. In den Six Senses Spas, die es in allen Resorts sowie in einer Handvoll eigenständiger Spas gibt, werden die Gäste auf ihrem Weg zu mehr Wohlbefinden begleitet. Der Anspruch lautet, die Sinne der Menschen neuzuerwecken, damit sie sich letztlich wieder mit sich selbst, anderen und der Welt um sie herum verbinden können. Der High-Tech- und High-Touch-Ansatz verbinden ganzheitliche Wellness mit integrativer Medizin.