Monotalk Archives - Tophotel.de https://www.tophotel.de/kategorie/business_management/monotalk/ Das Magazin der Hotellerie Fri, 20 Dec 2024 14:42:59 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.1 https://medien.tophotel.de/uploads/2018/11/Tophotel_Logo_Th_Favicon.png Monotalk Archives - Tophotel.de https://www.tophotel.de/kategorie/business_management/monotalk/ 32 32 Werteorientierte Hospitality: Denise Omurca im #Monotalk https://www.tophotel.de/denise-omurca-ueber-werteorientierte-hospitality-358338/ Fri, 20 Dec 2024 12:00:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=358338 Lindenberg Hospitality gilt in Deutschland als Pionier für „Collaborative Living“ und anspruchsvolle vegane Küche. Mit dem Lost Lindenberg eröffnete die bis dahin auf den Standort Frankfurt am Main konzentrierte Gruppe vor zweieinhalb Jahren ihr erstes Hideaway auf der indonesischen Insel Bali und legte damit den Grundstein für weitere Projekte mit klarem Fokus auf Leisure-Reisende. Im Frühjahr 2025 folgt mit dem Lilløy Lindenberg das nächste Hideaway auf der Insel Midtøy vor der Küste Norwegens. Denise Omurca (40), Geschäftsführerin der Lindenberg Hospitality, sprach mit Tophotel über das Konzept und besondere Orte.

Tophotel: Frau Omurca, was war der Antrieb für Ihre Expansion ins Leisure-Segment?

Denise Omurca: Bali gab den Anstoß. Voraus ging, dass wir seit 2016 unsere Häuser in Deutschland peu à peu auf eine rein vegane Küche umgestellt haben. Ich war damals Geschäftsführerin des Restaurants „Seven Swans“ und reiste nach Bali, um in erster Linie kulinarische Zusammenhänge, aber auch die Geschmacksrichtung Umami besser verstehen zu lernen. Die indonesische Küche lebt vegane und vegetarische Küche vor, Tempeh und Tofu sind ihre Hauptbestandteile. Ich war sofort fasziniert von der Insel, ihrer Kultur und den Menschen. Bali ist ein Sehnsuchtsort. Du bist einmal da, fliegst zurück und kannst an nichts anderes mehr denken als an diese Insel. So beschlossen wir, hier etwas Neues aufzubauen. 

Das hört sich nicht nach geplanter Wachstumsstrategie an ...

Nein, wir hatten das weder geplant noch hatten wir zu viel Zeit, vielmehr waren wir gerade in der Planung für unser damals größtes Projekt in Frankfurt. Wir haben das Projekt in Bali aber nicht überhastet realisiert, sondern sehr sorgfältig nach einer Location mit tollen Surfstrand gesucht, die nur Menschen bekannt ist, die schon viele Jahre auf der Insel leben. Die Infrastruktur war eher sekundär. Als wir den Standort im Küstenort Pekutatan im Südwesten Balis gefunden hatten, haben wir ein Projektteam aus Interior Designern, Architekten und Projektmanager zusammengestellt. Ich selbst kam 2018 für das Projekt nach Bali, der erste Spatenstich erfolgte 2019.

Denise Omurca

Denise Omurca war sich nach einer kaufmännischen Ausbildung sicher, dass ein reiner Bürojob für sie nicht geeignet ist. Nebenberuflich ließ sie sich in Koblenz zur Diplom-Sommelière ausbilden und wurde bald zur Restaurantleiterin. 2012 wechselte sie als Geschäftsführerin in das zur Lindenberg-Gruppe gehörende Restaurant „Seven Svans“ und begleitete dessen Hinwendung zur veganen Küche. 2014 wurde sie Geschäftsführerin in der Lindenberg Hospitality Group, die heute zwei Häuser in Frankfurt und eines auf Bali betreibt. Mit der Eröffnung des Lost Lindenberg auf Bali hat Omurca ihren Lebensmittelpunkt auf die indonesische Insel verlegt. Auf der ganzen Welt sucht die Gruppe nach weiteren einzigartigen Standorten für neue Projekte. Ein weiteres Haus – Lilløy Lindenberg – soll im kommenden Frühjahr auf einer norwegischen Insel eröffnen.

Können Sie diesen Standort näher beschreiben?

Es ist ein Dschungel, den man durchquert, ein Stück Land, auf dem sich heilige Tempel und Quellen befinden. Am Ende geht es unter Bäumen hindurch an einen menschenleeren schwarzen Strand. Die Magie hier, aber auch die Sonnenuntergänge sind so überwältigend, dass uns von vornherein klar war, welche Themenwelten die Guest Experience beeinflussen würden. Sehr wichtig war uns ein Architekturteam, das respektvoll mit dem Land umgeht. Wir wollten in die Höhe und nicht in die Breite wachsen und alles, was wir vorfinden, zelebrieren. Die Atmosphäre erinnert an das traditionelle, historische Bali. Wir haben acht Zimmer auf vier Türme verteilt, alle 45 Quadratmeter groß. Die Gäste schlafen auf Höhe der Baumwipfel und sehen durch die Panoramafenster den Dschungel und das Meer. Es gibt ein Restaurant, einen Pool mit Café und Bar, den Strand und ein Sonnendeck mit einer riesigen Matratze und Sonnenschirmen.

Sie arbeiten mit vielen Einheimischen zusammen. Was sind auf Bali die größten Herausforderungen?

Am Ende war ich selbst meine größte Herausforderung, weil ich mich mit der Kultur und auch der Sprache erst einmal vertraut machen musste. Ansonsten gilt für Bali das Gleiche wie für alle anderen Lindenberg-Häuser. Die  Verwurzelung mit dem Standort funktioniert vor allem über die Menschen: Ich habe mich mit meiner 75-jährigen balinesischen Nachbarin besprochen, welche Blumen wir am besten anpflanzen, und ich habe mich mit dem ortsansässigen Surflehrer ausgetauscht, welche Community-Kinderprogramme wir initiieren könnten, um der Gemeinschaft auch etwas zurückzugeben. Mit einem Hundeliebhaber aus dem Dorf haben wir zudem eine Hundeinitiative ins Leben gerufen. Dieser lokale Gedanke, der unseren tiefsten Werten entspricht, zieht sich weiter bis in die Personalstruktur, die Lieferkette und die verwendeten Produkte.

"Wir wollen der lokalen Gemeinschaft etwas zurückgeben."

Denise Omurca

Welche Zielgruppe sprechen Sie auf Bali an?

Wir haben Gäste aus aller Welt und unsere Zielgruppe nicht ganz eng definiert. Viele stammen aus Europa, vor allem aus Deutschland, Skandinavien und Spanien, aber auch aus Australien oder Südkorea. Es sind viele Gäste darunter, die uns aus Deutschland kennen. Andere sind einfach reiseerfahren und suchen sich für den Familienurlaub oder den Honeymoon bewusst einen besonderen Ort aus, wo sie tagsüber surfen und abends mit einem guten Glas Wein entspannen können.

Im Frühjahr 2025 soll auf der norwegischen Insel Midtøy in der Provinz Vestland das Lilløy Lindenberg eröffnen. Wie wurde dieser Standort gefunden?

Norwegen war eine Real-Estate-Zufallsentdeckung während Corona. Wir suchten nach einer Insel, allerdings sind die meisten angebotenen Inseln im tropischen Umfeld zu finden. Doch dann stießen wir auf diese kleine verregnete Insel in der Nähe von Bergen. Wer sich mit besonderen Orten beschäftigt und die Bedenken abbaut, was der Organisation eines Hotelbetriebs dort im Wege stehen könnte, findet Ideen und Lösungen. Sicherlich gäbe es hundert Gründe, Norwegen nicht als Hospitality-Projekt  zu betreiben, und wir haben auch gefühlt tausend Fragen dazu noch nicht beantwortet, doch ich glaube, dass eine unserer Stärken darin besteht, angstfrei Visionen zu spinnen, dann Lösungen zu finden und in tollen Teams zu arbeiten. Die künftigen Gäste werden das Haus komplett als Gruppe mit zehn Personen buchen können, aber zu bestimmten Zeiten ist auch ein Restaurantbesuch mit einzelnen Zimmern buchbar.

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    Lilløy Lindenberg
    © Dave Imms
    Das neueste Lindenberg-Projekt: Im Frühjahr 2025 soll auf der norwegischen Insel Midtøy in der Provinz Vestland das Lilløy Lindenberg an den Start gehen.
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    Lost Lindenberg
    © Jack Johns
    Das Lost Lindenberg ist das erste Lindenberg-Projekt in Indonesien. Das Hotel liegt hoch oben in den Baumwipfeln des westbalinesischen Palmen-Dschungels, an einem schwarzen Lavasandstrand.
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    Lost Lindenberg
    © Jack Johns
    Die Atmosphäre im Lost Lindenberg soll an das traditionelle, historische Bali erinnern.
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    Libertine Lindenberg, Toko & Bar
    © Jack Johns
    Das Frankfurter Libertine Lindenberg mit 27 Zimmern, einem Wohnzimmercafé, einem Tonstudio und dem Toko & Bar (Foto) wurde bereits 2016 eröffnet.

Wollen Sie weiter wachsen?

Klar, in den nächsten 20 Jahren kommen hoffentlich weitere Projekte weltweit dazu. Wir sind unternehmerisch so konzeptioniert, dass wir in unserem Handeln ziemlich frei sind. Wir müssen nicht wachsen, um unsere Rechnungen zu bezahlen. Es geht immer um die Sinnhaftigkeit eines Einzelprojekts. Nur wenn Locations wirklich einzigartig sind und wir an sie glauben, setzen wir uns zusammen und denken darüber nach. Wir haben das große Glück, dass wir ein junges Team sind. Die Gemeinsamkeit ist, dass wir Konzepte erst einmal so bauen, denken und kreieren, dass wir an diesen Orten selbst gern Zeit verbringen würden. Jedes Objekt hat ein operatives Projektteam, das die Location meistert, und im Backoffice schaue ich mit einem kleinen Team übergreifend auf die Themen: Was steht an, wie können wir es strukturieren?

Wie gelingt dabei der Spagat zwischen Profitabilität und werteorientierter Arbeit?

Wir sind keine Unternehmung, die von Lust und Liebe lebt. Wir denken und arbeiten unternehmerisch. Das funktioniert nur über verschiedene Parameter, die wir definieren. Das eine schließt das andere nicht aus, im Gegenteil. Werteorientierte Unternehmen, deren Authentizität auch von den Teammitgliedern im Herzen mitgetragen wird, machen vieles einfacher. Wenn ich eine schöne Immobilie habe mit einem tollen Team und einem guten Gastrokonzept, weshalb sollte ich dann nicht erfolgreich sein? Da spricht überhaupt nichts dagegen.

Sollten sich moderne Hospitality-Konzepte an solchen Vorstellungen orientieren?

Ich glaube, es gibt in der Hospitality kein Muss. Und wir sind sicher nicht die Marke, die vorgibt, wie es gemacht werden sollte. Ich glaube aber, dass sich die Anforderungen an Hospitality gerade durch Corona geändert haben. Remote-, aber auch Boutique-Konzepte, bei denen es weniger um die Exklusivität der Zimmer als vielmehr darum geht, wie viele andere Menschen mich an einem Ort umgeben, werden weiter an Bedeutung gewinnen. Da hat die Pandemie andere Anforderungen und Sehnsüchte an uns herangetragen. Themen wie Nachhaltigkeit oder vegane Ernährung spielen ebenfalls eine größere Rolle.

Wie wichtig sind strategische Neuausrichtungen?

Sehr wichtig. So resultierte etwa die in diesem Jahr erfolgte Aufgabe des Frankfurter Lindley als großer Hotelbetrieb mit 100 Zimmern aus der Frage: Quo vadis, welchen Themen wollen wir uns in Zukunft widmen, was für eine Brand sind wir und mit welchem Fokus?

Sie sprechen oft von Ihrem tollen Team, wie kommen Sie an die Leute?

Uns war bereits 2012 klar, dass wir nicht nur Mitarbeiter suchen, die Hospitality-Erfahrung haben, und wir haben uns die Möglichkeiten nie durch Mindestanforderungen wie „mindestens zehn Jahre Frontoffice-Erfahrung“ et cetera verbaut. Das gilt bis heute. Wer auch immer den Umgang mit Menschen liebt, wer auch immer Lust hat, sich zu entwickeln, wer auch immer Einsatz zeigt, bekommt eine Chance. Dadurch haben wir Menschen gewonnen, die sich von der Denkweise unseres Unternehmens angezogen fühlen. Es gibt auch mal Personalwechsel, doch weitgehend arbeiten wir immer noch mit den Teams zusammen, mit denen wir gestartet sind. Auch auf Bali, das ist ein großes Kompliment.

"Eine unserer Stärken besteht darin, angstfrei Visionen zu spinnen."

Denise Omurca

Auf Bali arbeiten Sie umweltfreundlich mit eigener Permakultur, regionalen Produkten, eigenen Sonnenkollektoren. Wie lässt sich dieser nachhaltige Gedanke mit dem Thema Fernreiseziel vereinbaren?

Gar nicht. Im Lindenberg-Kontext heißt das: Wir tun, was wir können. Nachhaltigkeit fängt ja nicht nur bei heimischen Hölzern an. Es geht auch um die Teamstrukturen oder die Frage: Wie gestalte ich mein eigenes Leben? Wir haben einige Entscheidungen getroffen, die nachhaltig sind, andere sind es aber noch immer nicht. Vollends nachhaltig ist vermutlich nur, wer gar nichts mehr baut und die Füße stillhält. Wir haben uns vor drei Jahren entschieden, uns mit dem Greensign zertifizieren zu lassen, weil dieses den gesamten ESG-Bereich in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung umfasst.

Welche Rolle spielt der Community-Gedanke heute?

Er ist nach wie vor wichtig, gerade wenn wir über eine längere Aufenthaltsdauer nachdenken. Der Schlüssel ist aber immer die Freiheit der Möglichkeiten. Es gibt sicherlich nichts Gruseligeres als ein Community-Konzept, das Leute zwingt, Zeit miteinander zu verbringen. Ebenso ist erzwungene Einsamkeit nichts Schönes. Es geht darum, Optionen zu bieten. Im Lost Lindenberg laden wir jeden Abend zur gleichen Zeit zum Lagerfeuer ein, und wer Lust hat, ist dabei. Die Gäste wissen, sie bekommen ihre Kokosnuss oder ihren Gin Tonic mit Sonnenuntergang am Strand. Dabei entwickeln sich auch Dynamiken. Es ist doch schön, wenn ich weiß, ich treffe meinen Sitznachbarn von gestern heute wieder und wir können uns erzählen, wie der Tag war. Ich muss aber auch nicht hingehen, ich kann mir genauso einen Reis aufs Zimmer bestellen oder allein an der Bar sitzen. Die Magie ist die Auswahl an Möglichkeiten und das Kuratieren.

Würden Sie sich selbst als visionäre Unternehmerin bezeichnen?

Nein, weil ich mich bei Lindenberg nicht als Individuum sehe. Lindenberg Hospitality wird von mehreren Menschen getragen, die auch von Projekt zu Projekt wechseln. Ich bin Teil einer visionären Gruppe und habe das große Glück, mit tollen Teams zusammenarbeiten zu dürfen.

Das Interview mit Denise Omurca ist in Tophotel-Ausgabe 12/2024 erschienen:

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Markus Promberger über Workation https://www.tophotel.de/markus-promberger-ueber-workation-354164/ Thu, 07 Nov 2024 08:00:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=354164 Wir haben mit dem 36-jährigen Gründer und Geschäftsführer des Aparthotels AMA Stay über digitale Nomaden und „ganz normale Urlauber“, konzeptuelle Herausforderungen und Mut zu Neuem gesprochen.

Es muss nicht immer Griechenland, Portugal oder Mexiko sein: Mit dem Aparthotel AMA Stay hat Markus Promberger vor zwei Jahren das Dolomiten-Örtchen St. Vigil auf die Workation-Landkarte gebracht. Konzepte, die Arbeit und Freizeit verbinden, haben im Zuge von Pandemie, Digitalisierung und New Work auch im DACH-Raum an Bedeutung gewonnen. Wir haben mir dem 36-jährigen Gründer und Geschäftsführer über das Thema "Workation" gesprochen.

Tophotel: Herr Promberger, mit dem AMA Stay haben Sie 2022 eine Workation-Residenz in St. Vigil in Enneberg positioniert. Wie bewährt sich das Konzept?

Markus Promberger: Mit unserem Konzept bringen wir eine sehr junge internationale Zielgruppe nach St. Vigil. Gäste aus über 80 verschiedenen Herkunftsländern haben bereits bei uns übernachtet. Das Durchschnittalter liegt bei 38 Jahren, die Aufenthaltsdauer zwischen einer Nacht und drei Wochen. Für ein Workation-Konzept unserer Größe war es wichtig, schnell zu einer gewissen Auslastung heranzuwachsen. Hier hilft uns der MICE-Sektor sehr, da wir angesichts einer Größe von 156 Betten auch Unternehmen mit einer Zahl von 100 bis 140 Mitarbeitern ansprechen können. Damit füllen wir das Haus relativ schnell, teils werden wir sogar komplett gebucht. Die Durchschnittsbelegung liegt bei 60 Prozent, unsere Vision ist es weiterhin, die erste Wahl für digitale Nomaden und Remote Workers im Alpenraum zu werden.

Wie hoch ist der Anteil digitaler Nomaden unter Ihren Gästen?

Das ist schwer zu bestimmen, denn keiner unserer Gäste registriert sich explizit als digitaler Nomade oder Workationer, wenn er bei uns bucht. Wir beobachten aber ganz klar, dass unsere Räumlichkeiten, in denen allein oder in der Gruppe gearbeitet werden kann, sehr viel genutzt werden. Letztlich ist die Bezeichnung auch eine Definitionssache, das kann jeder an seinem eigenen Reiseverhalten nachvollziehen: Definiert man sich selbst als digitaler Nomade, wenn man unterwegs ist? Arbeitet man vom Laptop aus oder nicht? Arbeitet man von unterwegs oder nur vom Büro oder Homeoffice? Eine klare Tendenz lässt sich dennoch erkennen: Wer den Wunsch verspürt, Arbeit und Urlaub zu kombinieren, plant längere Aufenthalte. Workation ist mittlerweile auch Teil eines Lifestyles, der ein Zugehörigkeitsgefühl schafft. Wir haben auch viele Leisure-Gäste, die zwar nicht explizit Workation machen, aber trotzdem eine Workation-Residence für ihren Urlaub wählen.

"Digitale Nomaden brauchen eine Art Community Manager"

Bedeutet das für Sie nicht auch einen Spagat zwischen Remote-Workern und Urlaubern?

Absolut, es ist der Spagat, nicht als reines Business-Aparthotel, aber auch nicht als pures Vacation-Haus wahrgenommen zu werden. Das ist herausfordernd in der Kommunikation. Wir wollen weder den Leisure-Gast abschrecken noch den Business-Gast bevorzugen.

Welche Nation erleben Sie am Workation-freudigsten?

Hier sind die Deutschen und der DACH-Raum tatsächlich am stärksten vertreten. Das zeigen auch die Suchanfragen bei Google, die in den vergangenen zwei, drei Jahren exponentiell gestiegen sind. Zu dieser Entwicklung scheinen auch die Arbeitsverträge beizutragen, die die nachfolgende Generation heute angeboten bekommt und die bereits feste Kontingente an ortsunabhängiger Arbeit beinhalten. Meine Schwester arbeitet beispielsweise in einer Kreativagentur, deren Arbeitsverträge standardmäßig 90 Tage Workation vorsehen.

Woher kommt Ihr Zugang zum Thema Workation? Zuvor haben sie auf dem familiengeführten Almgasthof mitgearbeitet, wo das sicher weniger ein Thema war.

Nicht ganz, unser Almgasthof wurde in der Randsaison von vielen Unternehmen frequentiert, die über mehrere Tage zu uns kamen, darunter Miele, Lufthansa oder Sporthersteller mit 400 bis 500 Angestellten. Die Idee, das Thema Workation gezielter aufzugreifen, kam mir und meinem Bruder Klaus dann während der Coronapandemie. Bei einer gemeinsamen Skitour haben wir festgestellt, dass wir hinterher in zwei Stunden effektiver waren, als wenn wir acht Stunden im Büro gesessen hätten. Doch dieses Glück, mitten in der Natur zu sein, hat nicht jeder. Wir haben uns also gefragt, was würden andere dafür geben, um hier in St. Vigil an ihren Projekten arbeiten zu können. Da ich Innovationsmanagement in Berlin studiert habe, hat uns das zusätzlich ermutigt. Zumal es im gesamten Alpenraum seinerzeit kein Angebot gab, das Workation derart strategisch positioniert hat – nah am größten Skigebiet Südtirols, dem Kronplatz, und den Dolomiten als Unesco Weltkulturerbe sowie mit einem Partner wie den Kronplatz Seilbahnen, die in das Hotel investiert und an das Projekt geglaubt haben.

Was haben Sie mit dem Bau und Betrieb des Aparthotels selbst über das Thema Workation dazugelernt?

Zwei Dinge – erstens: Im Workation-Segment ist das A und O, eine Community aufzubauen. Das ist schwieriger als gedacht und es braucht Zeit. Meiner Meinung nach benötigen wir für alleinreisende digitale Nomaden eine Art Community Manager, der sie zusammenbringt. Sprich, jemanden, der einen Wochenplan mit Community-Angeboten erstellt und für Vernetzung sorgt. Ein Schritt dorthin sind unsere jährlichen Community Days, die gerade zum zweiten Mal stattgefunden haben. Unter dem Motto „Travel and Cultural Immersion“ waren verschiedene Speaker eingeladen, dazu gab es Workshops – alles mit dem Ziel, die Leute zusammenzubringen und eine Community aufzubauen. Zweitens: Das Thema Preisspagat. Als Workation-Destination konkurrieren wir hauptsächlich mit warmen Destinationen wie Griechenland, Portugal und Bali – für diese Orte benötigen Workationer weniger Ausrüstung als für einen Berg- oder Winterurlaub in Südtirol. Mit diesen Destinationen budgettechnisch zu konkurrieren ist daher schwierig. Bei uns startet die Übernachtung im Doppelzimmer bei 200 Euro – damit sprechen wir eher Zielgruppen an, die beruflich schon fest situiert sind, und weniger die 20- bis 30-Jährigen.

Über Markus Promberger

Der 36-Jährige entstammt einer Südtiroler Gastgeberfamilie, die 24 Jahre lang den Almgasthof „Ütia de Börz“ im Würzjoch (Passo delle Erbe) im Herzen der Dolomiten betrieben hat. 2022 eröffnete Markus Promberger zusammen mit seinem Bruder Klaus das Aparthotel AMA Stay mit 78 Zimmern in St. Vigil in Enneberg, das sie seither als Workation-Destination für digitale Nomaden und Remote Workers positionieren. Davor war der Gründer und Geschäftsführer als Marketingberater bei Brandnamic, freiberuflicher Mediaplaner in Berlin, Geschäftsführer des Almgasthofs Ütia de Börz sowie Strategist & Projektmanager in Brixen tätig. Darüber hinaus hat Promberger in Berlin Innovationsmanagement studiert

Welche Standards sind für ein Workation-Angebot unerlässlich?

Coworking Spaces und Meetingräume sollten flexibel gestaltet werden können. Das heißt, das Interior ist nicht fix an einen Raum oder Platz gebunden, sondern kann variabel eingesetzt werden. Außerdem unerlässlich sind Rückzugsorte wie Kabinen für ungestörtes Telefonieren, Tageslicht, moderne Technik und exzellentes Wi-Fi.

Womit heben Sie sich darüber hinaus ab?

Wir haben das Aparthotel so gestaltet, dass es für jeden Gast und jede Aufgabe den optimalen Arbeitsbereich bietet – ganz gleich, ob allein oder im Kollektiv gearbeitet wird. Die Zimmer sind dank großer Schreibtische bürotauglich. Für den Austausch mit anderen gibt es Coworking Spaces im zweiten und dritten Obergeschoss, die jeweils mit einem Social Table, Telefonkabinen und privaten Schreibtischen ausgestattet sind. Zusätzlich haben wir Seminarräume mit Platz für bis zu 150 Personen. Da wir uns von Anfang an als Haus mit lediglich drei Apartment-Kategorien positioniert haben, ist es für uns einfacher, Unternehmen mit einer höheren Mitarbeiterzahl anzusprechen. Denn durch die geringe Differenzierung der Zimmer gibt es weniger Konflikte, wer das schönere Zimmer bekommt. Vor Kurzem hatten wir einen Gast, der für seine Doktorarbeit über 20 Workation-Betriebe analysiert hat. Seiner Einschätzung nach gibt es im gesamten Alpenraum keine Struktur unserer Größe – 156 Betten, 160 Restaurantplätze, 160 Tagungsplätze –, die die Bedürfnisse eines Unternehmens zu 360 Grad abdeckt.

Woher nehmen Sie Ideen und Inspiration?

Mir hilft es sehr, mich mit Künstlern, Architekten, Investoren, Gleichgesinnten oder Andersdenkenden auszutauschen. Das gibt mir neue Perspektiven. Das vereinsbasierte Netzwerk Coworkation Alps beispielsweise, zu dessen zertifizierten Locations wir gehören, hat uns geholfen, die richtigen Standards zu definieren, wie etwa: Wie schnell soll das Internet sein? Welches Grundmaß muss ein Tisch haben, welche Longstay-Angebote biete ich an et cetera? Ich denke viel darüber nach, wie wir noch besser werden können, zumal immer mehr Anbieter ins Workation-Segment eintreten wollen.

Was ist derzeit Ihre größte Herausforderung?

Parallel zur operativen Arbeit genügend Zeit für Reflexion und strategische Arbeit zu finden, ist eine Herausforderung. Wenn ich mitten in der Hochsaison stecke, habe ich nicht den Kopf, mir über Strategisches Gedanken zu machen. Doch durch den Austausch mit anderen schöpfe ich wieder neue Kraft.

Wie kommt Ihr Konzept in der lokalen Community von Sankt Vigil an?

Inzwischen positiv. Anfangs haben nicht alle gleich die Positionierung verstanden, als wir mitten im Ort ein komplett neues Hotelgebäude hochgezogen haben. Doch uns war klar, dass das Dorf nicht das x-te Wellness-, Familien- oder Sporthotel braucht. Ich bin überzeugt, dass wir einen Mehrwert für den Ort geschaffen haben, da wir eine jüngere, internationale Klientel hierher bringen. Davon profitieren nicht nur die Almhütten am Mittag, da wir keine Halbpension anbieten, auch am Abend ist mehr los im Dorf.

"Wir konkurrieren mit warmen Destinationen wie Griechenland, Portugal oder Bali."

Für Ihre Gäste haben Sie sich New Work auf die Fahnen geschrieben, gilt das auch für Ihr Team?

Wenn wir Workation nicht auch leben würden, würde der Gast das spüren. Authentizität ist uns daher sehr wichtig, ebenso wie Unternehmenskultur. Für diese haben wir die sechs Werte Gastfreundschaft, Ehrlichkeit, Transparenz, Selbstbestimmung, Stolz und Demut definiert. Die wichtigste Investition in unserem Sektor sind die Mitarbeiter, um nachhaltig bestehen zu können. Wir haben ein sehr junges Team – Durchschnittsalter 28 Jahre, mehr als die Hälfte Quereinsteiger, zehn verschiedene Nationalitäten. Mein Bruder Klaus ist sehr engagiert, wenn es darum geht, mit dem Team gemeinsame Ausflüge in die Berge oder an die Seen zu unternehmen oder gemeinsame Projekte oder Workshops aufsetzen, die neue Ideen hervorbringen. Derzeit ist er selbst als digitaler Nomade in Zentralasien unterwegs und fehlt hier ein wenig. Darüber hinaus ist es unseren Mitarbeitern freigestellt, mit dem Laptop von zu Hause zu arbeiten, wenn sie sich dort besser konzentrieren können oder es ihre Tätigkeit zulässt.

Welche Entwicklung sehen Sie für das Thema Workation in der Hotellerie allgemein?

Mich persönlich freut es, dass das Thema immer mehr wahrgenommen und darin Potenzial gesehen wird. Die Pandemie hat New-Work-Ansätze noch beschleunigt, und ich glaube nicht, dass diese so schnell wieder verschwinden. Sicherlich gibt es auch Hotels, die auf den Zug aufspringen, weil das Thema gerade angesagt ist. Wenn dann allerdings unter dem Label „Workation“ lediglich der Frühstücksraum zum Meetingraum deklariert wird, finde ich das eher schwierig.

Wie werten Sie die Ansage vieler großer Unternehmen, ihre Beschäftigten wieder verstärkt ins Büro zu beordern. Hat das Auswirkungen auf Ihr Konzept?

Zurzeit nicht. Unter unseren Gästen sind zahlreiche Unternehmen, die komplett remote arbeiten und sich wiederholt bei uns einbuchen. Die haben kein Headquarter, wo sich alle treffen, sondern machen das bei uns und unser Haus dann quasi zu ihrer Bürofläche. Auf dem Programm stehen dabei intensive Teammeetings, Master Classes, Workshops und Outdoor-Events, die allerdings nichts mehr mit den früheren Incentive-Reisen zu tun haben. Ein Unternehmen hat beispielsweise ein Rodelrennen organisiert und das als Teil der Arbeit gesehen. Nach der Competition haben sich dann alle zusammengesetzt und weitergearbeitet.

Sie haben alles auf die Karte Workation gesetzt – wie sicher waren Sie, dass sich das in St. Vigil trägt?

Diesbezüglich hatte ich durchaus schlaflose Nächte. Doch wir haben das große Glück, mit den Kronplatz Seilbahnen einen guten Partner an unserer Seite zu haben. Ausschlaggebend für die Zusammenarbeit war für uns, dass es diesem nicht nur um Profitorientierung, sondern auch um einen gesellschaftlichen Gesamtauftrag geht. Und der beinhaltet, einen Mehrwert für unsere lokale Umgebung zu schaffen. Damit das gelingt, mussten wir natürlich etwas Neues wagen – ohne 100-prozentige Sicherheit, aber mit dem Glauben an das Konzept. Ich kann nur raten, sich mit der eigenen Angst vor einem Scheitern oder einem Misserfolg auseinanderzusetzen. Wer diesen Mut aufbringt, gewinnt schon viel, denn das Scheitern findet ganz oft im eigenen Kopf statt.

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Homeira Amiri über politisches Engagement https://www.tophotel.de/homeira-amiri-ueber-politisches-engagement-350146/ Thu, 19 Sep 2024 07:25:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=350146 Im Interview spricht die Botschafterin der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt über ihr politisches Engagement, die Stärken der Branche und die Potenziale der jungen Generation.

Mit Homeira Amiri als Gesicht für die Hotellerie ist die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) in diesem Sommer in ihre Awareness-Kampagne #HerzUnsererGesellschaft gestartet. Was bewegt die Unternehmerin dazu, sich politisch zu engagieren und viel Zeit in die Gespräche mit Politikern zu investieren? Wir haben uns mit ihr über die Schlagkraft der Branche, schlummernde Potenziale und die junge Generation ausgetauscht.

Tophotel: Frau Amiri, Sie engagieren sich stark im Vorstand der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG), unter anderem als Sprecherin der Kampagne ­#HerzUnsererGesellschaft. Wie kam es dazu?

Homeira Amiri: Die Coronakrise war hier ein Wendepunkt. Mein Bruder und ich führten zu dieser Zeit mit den Centro Hotels eine Hotelgruppe mit rund 65 Häusern. Wir waren erfolgreich auf Expansionskurs, als die Pandemie ausbrach. Der Umgang der Politik mit unserer Branche während der Pandemie zeigte uns, dass wir politisch unterrepräsentiert waren. Hotellerie, Gastronomie und Food-Industrie bilden eine wichtige Wertschöpfungskette, die in ihrer Gesamtheit aber so nicht wahrgenommen wurde.

Hinzu kam, dass Unternehmen, die nicht unter die Definition Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fielen, ein Jahr lang außer dem Kurzarbeitergeld überhaupt keine Coronahilfen erhielten. Diese Ungleichbehandlung hat mir deutlich gemacht, dass sich die Wahrnehmung der Gastwelt als Wirtschaftsfaktor dringend ändern muss. Wir müssen lernen, mit einer geeinten Stimme zu sprechen. Das war während der Krise und auch heute noch der eindeutige Wunsch der Politik. Daher zählten wir zu den Gründungsmitgliedern der DZG.

Das heißt, dass sich Unternehmer aus Hotellerie, Gastronomie und Food-Industrie zuvor zu wenig politisch engagiert haben?

Es gibt bereits viele Verbände, für die Gastwelt sind es sogar knapp 80, doch die Themen und Anforderungen, sei es bei Mitarbeiterfragen, Coronahilfen, Energiekosten oder gestiegenen Zinsen etc., überschneiden sich oft und die Gastwelt wurde somit durch ihre Kleinteiligkeit nicht ausreichend politisch wahrgenommen. Daher ist es umso wichtiger, dass wir unsere Kräfte bündeln.

"Solange sie erfolgreich waren, sahen viele Unternehmer überhaupt keinen Bedarf, sich in Verbänden oder politisch stärker zu engagieren."

Wie beurteilen Sie das Engagement der gastgewerblichen Berufsverbände insgesamt?

Jedes einzelne Engagement ist wichtig und gut, bestimmte übergreifende Themen müssen aber gebündelt werden. Die DZG hat beispielsweise Daten geschaffen und mit dem Fraunhofer Institut aufgezeigt, dass wir ein bedeutender und starker Wirtschaftsfaktor sind. Wir beschäftigen 6,18 Millionen Mitarbeiter in der Gastwelt. Bis zu 18 Millionen Menschen werden täglich außer Haus verpflegt. Wer das alles ins Verhältnis zu anderen Branchen der deutschen Wirtschaft stellt, merkt schnell, dass wir zu einem der größten Treiber zählen.

Der Politik ist aber leider nicht wirklich bewusst, dass wir mehr als nur das eine Restaurant in der Straße oder das eine Hotel in der Stadt sind, es zum Beispiel in unserer Branche einzelne Caterer gibt, die am Tag bis zu 25.000 Essen an Kitas, Schulen, Pflegeheimen etc. ausliefern. Oder dass, wer im Hotel wohnt, auch Bahntickets bucht, sein Auto tankt oder shoppen geht und somit die ganze Infrastruktur stärkt.

Solange sie erfolgreich waren, sahen viele Unternehmer überhaupt keinen Bedarf, sich in Verbänden oder politisch stärker zu engagieren. Bis vor Corona waren wir alle mit unseren Unternehmen beschäftigt. Als uns die Politik dann einschränkte und mit Verboten und Schließungen in unsere Unternehmensführung eingriff, wurde uns bewusst, dass wir als großes Ganzes nicht wirklich wahrgenommen werden. Hotelketten, Tourismus, Gastronomie, die Food-Industrie: Jede Branche kämpfte für sich allein und hatte somit weniger Schlagkraft.

Was genau haben wir uns unter der Awareness-Kampagne vorzustellen?

Die Kampagne #HerzUnsererGesellschaft möchte die positiven Aspekte unserer Branche hervorheben. Wir sind nicht nur ein wirtschaftlicher Motor, sondern auch ein Ort der Begegnung und Raum für persönliche Kontakte – und ein Gegenmittel gegen den Rechtsruck. Unsere Branche steht für Vielfalt, Gastfreundschaft und Integration. Restaurants, Bars, Gasthäuser, Hotels, Theater, Kinos und viele weitere Freizeiteinrichtungen sind nicht nur wichtige wirtschaftliche Faktoren, sondern zugleich das Herz der Gesellschaft. Diese Message vermitteln wir im Rahmen unseres Sommerdialogs politisch Verantwortlichen aller Ebenen. Mehr als 60 Betriebe landesweit haben sich bereit erklärt, Politikerinnen und Politiker zu empfangen und mit ihnen über die Vorzüge und die Herausforderungen unserer Branche zu sprechen.

Im September haben wir im Rahmen der Kampagne wieder ein Foodtruck-Event veranstaltet, über das wir den politischen Diskurs direkt in Berlin führen. Außer Politikerinnen und Politikern sollen bis Jahresende so auch Gäste und Mitarbeitende angesprochen und über die wichtigsten Ziele und Inhalte der Initiative informiert werden. Dazu schalten wir auf 23 Sendern bundesweite Radiospots mit in Summe über 8.200 Sendeminuten. Für den Oktober sind zudem flächendeckend regionale Anzeigen geplant.

Sind Sie bisher mit der Unterstützung zufrieden?

Ja, sie wird von rund 50 Verbänden und Organisationen aus Tourismus, Travel, Hospitality, Foodservice und Freizeitwirtschaft unterstützt, darunter beispielsweise der Verband Deutscher Ferienparks und Freizeitunternehmen, die Food Service Consultants oder die Jeunes Restaurateurs (JRE). Außerdem wird die Kampagne positiv von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) begleitet. Es ist ermutigend, zu sehen, wie viele sich für unsere Sache starkmachen.

Über Homeira Amiri

Homeira Amiri kam im Alter von vier Jahren mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland. In Göttingen gründete ihr Vater ein Restaurant, später zog die Familie nach Hamburg und baute die Hotelkette Centro Hotels auf. Homeira Amiri studierte Modedesign und in Teilen IT und Architektur und war COO bei den Centro Hotels, die im Juni an die HR Group (HRG) verkauft wurden. Heute leitet die Mutter dreier erwachsener Kinder die Unternehmen Amiri Consulting und People@Agency und engagiert sich für die Denkfabrik Zukunft Gastwelt sowie im ICA.

Der Dehoga und die IHA sind aber nicht dabei.

Wir haben alle Verbände eingeladen und mit allen, die mit dabei sein wollten, unsere Kampagne begonnen. Diese soll uns alle miteinander verbinden, auch wenn sich unsere Ansätze im Tagesgeschäft unterscheiden. Aufgabe der Denkfabrik ist die Vision, die Veränderung. Wir sind Unternehmer, die die Politik mit ihrer wirtschaftlichen Schlagkraft überzeugen und das positive Image der ganzen Gastwelt fördern möchten.

Ihre Familie hat die Centro Hotels in diesem Jahr an die HR Group verkauft. Werden Sie der Branche dennoch treu bleiben?

Auf jeden Fall. Bis Ende August habe ich den Eingliederungsprozess unserer Häuser in die HR Group begleitet, seit dem 1. September konzentriere ich mich beruflich auf mein Beratungsunternehmen Amiri Consulting und mein 2022 gegründetes Startup People@Agency, das Azubis und Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland vermittelt. Darüber hinaus engagiere ich mich weiterhin in der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt und im Beirat des Institute of Culinary Art.

Aus welchen Ländern vermittelt People@Agency Mitarbeitende, und in welche Branchen?

Wir haben unser Netzwerk in erster Linie in europäischen Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal gespannt, recruiten aber auch aus Indonesien, Vietnam, Aserbaidschan, Indien oder der Türkei. Das Gastgewerbe zählt zu unseren wichtigen Kunden, wir sind aber auch im medizinischen Bereich oder in der Logistik tätig.

Wie haben Sie sich auf diese Aufgabe vorbereitet?

Wir haben uns zunächst intensiv mit den Visa-Anforderungen beschäftigt. Auch ist uns bewusst, dass Talente aus dem Ausland starke Social Services benötigen, selbst wenn sie Deutsch können, was wir für bestimmte Berufszweige voraussetzen. Das beginnt bei der Unterstützung, eine Steuer-ID zu erhalten, über das Einrichten einer Bankverbindung bis zur Anmeldung bei der Meldebehörde und zur Wohnungssuche. Um all diese Prozesse zu beschleunigen, erarbeiten wir gerade einen digitalen Workflow. Unser Service umfasst neben dem Recruiting auch Onlinetrainings und Tipps fürs Onboarding. Wir arbeiten dabei auch mit den Anforderungen der Chancenkarte. Uns ist es wichtig, dass die Unternehmer hier mit den Talenten unterstützt werden, die sie brauchen.

"Privathoteliers müssen mehr denn je Nischenprodukte schaffen und ihre Stärken betonen."

Bei Centro haben Sie auch gern Quereinsteigern eine Chance gegeben. Schlummert darin weiteres Potenzial für die Branche?

Ich bin davon überzeugt, dass man einen Job nicht nur dann richtig gut machen kann, wenn man einen Titel auf der Stirn trägt. Wer Quereinsteiger beschäftigt, muss aber seine Prozesse anpassen. Sie bringen nicht das gleiche Wissen für den Bereich mit wie eine ausgelernte Fachkraft. Wenn ich diejenigen Mitarbeiter mit richtig guten Fachkenntnissen aber gezielt einsetze, kann ich mit 40 bis 50 Prozent Quereinsteigern ein tolles Team kombinieren, das sogar weitere Kenntnisse mitbringt, die über den Fachbereich hinausgehen. Wer Menschen die Chance gibt, sich auf ihre Stärken zu fokussieren, kann sie schnell aufblühen sehen. Jeder einzelne Mitarbeiter ist für ein Hotel wichtig. Das Zimmermädchen ist genauso wichtig wie der Manager. Wenn das Zimmer nicht sauber ist, kann ich es auch nicht verkaufen.

Wir sind, was die Ausgangsqualifikation von Mitarbeitenden anbelangt, bei einigen Unternehmern noch zu sehr konzentriert auf das, was vor 20 Jahren richtig war. Aber heute gibt es zum Beispiel immer mehr junge Menschen, die ihr Studium abbrechen, weil sie sich dort nicht gut aufgehoben fühlen. Führungskräfte müssen ihren Fokus verstärkt darauf ausrichten, wer vor ihnen steht und weniger darauf, was auf dem Papier steht. Ich selbst lese mir seit Jahren keine Arbeitszeugnisse mehr durch.

Weshalb brechen so viele Jugendliche Ihrer Meinung nach ihre Ausbildung oder ihr Studium ab?

Zu einem großen Teil, weil wir ein Bildungssystem haben, das die neuen Anforderungen unserer Jugend nicht wirklich berücksichtigt. Unsere Jugend ist es immer mehr gewohnt, durch die sozialen Medien Anerkennung zu erhalten. Eine schlechte Klausur oder Ärger mit Kollegen kann daher schnell zu Resignation führen. Unsere Jugend ist es gewohnt, dass alles, was sie tut, ganz schnell geliked wird. Wenn sie nicht sofort Zustimmung erhält oder gar eine Absage, ist sie unzufrieden, und auch der Aufmerksamkeitszeitraum hat sich durch die sozialen Medien um einiges verändert.

Wir müssen sehr bewusst mit der Wertschätzung umgehen, den Menschen ihre Ängste nehmen und gerade junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen – und auch hier ihre Stärken sehen. Sie haben nicht nur Angst vor dem Versagen, sondern auch vor dem wirtschaftlichen Abschwung. Auch die Politik muss den Menschen wieder ihre Ängste nehmen, dazu gehören eine stabile Wirtschaft und eine klare Vision.

Wie wird sich die Hotellandschaft in den kommenden zehn Jahren entwickeln?

Meiner Meinung nach wird es zu weiteren Konsolidierungen kommen. Privathoteliers müssen daher mehr denn je Nischenprodukte schaffen und ihre Stärken betonen. Das kann der herausragende Service sein, aber auch ein einzigartiges Konzept, ein überzeugendes Produkt mit Werten.

Was begeistert Sie persönlich an der Hotellerie?

Ich bin begeistert davon, wie Hotellerie und Gastronomie Menschen zusammenbringen. Wir schaffen besondere Erlebnisse, die unsere Gäste mit nach Hause nehmen. Es ist diese Leidenschaft für Gastfreundschaft, die mich immer wieder inspiriert.

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Henning Matthiesen über den großen Brenners-Umbau https://www.tophotel.de/henning-matthiesen-ueber-den-grossen-brenners-umbau-348316/ Mon, 19 Aug 2024 06:45:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=348316 In der #Monotalk-Langfassung gibt der Hoteldirektor Einblick ins künftige Interior Design von Brenners Park-Hotel & Spa in Baden-Baden, berichtet von den Herausforderungen des Umbaus und zeigt, wie er das Hotelteam auf diese Reise mitgenommen hat.

Im Laufe seiner Karriere hatte es Hoteldirektor Henning Matthiesen (52) bereits mit einigen Umbauprojekten zu tun, doch die Infrastruktursanierung des Haupthauses von Brenners Park-Hotel & Spa in Baden-Baden ist auch für ihn eine ganz neue Größenordnung. In der 150-jährigen Geschichte des Luxushotels wird damit ein neues Kapitel aufgeschlagen. Dies als Bauherr begleiten zu dürfen empfindet der erfahrene Luxushotelier als Privileg.

Tophotel: Herr Matthiesen, die Modernisierung der Zimmer und Suiten im Haupthaus von Brenners Park-Hotel & Spa läuft bereits seit Oktober 2023. Ab wann wird das Haupthaus wieder für Gäste geöffnet haben?

Henning Matthiesen: Das Ziel ist, die Grandhotel-Geschichte in eine neue Ära zeitloser Eleganz zu führen. Dazu unterziehen wir das Hauptgebäude gerade einer kompletten Infrastruktursanierung – angefangen bei der Fassade übers Dach, die Fenster, Balkone und Zimmer bis hin zur gesamten Haustechnik. Wir werden das Haupthaus voraussichtlich im zweiten Quartal 2025 wiedereröffnen. Der genaue Monat beziehungsweise das Datum stehen aber noch nicht fest.

Ursprünglich war das zweite Quartal 2024 geplant …

Das ist richtig. Hier haben uns einige Unwägbarkeiten im Zeitplan etwas zurückgeworfen. Angefangen bei Stahlträgern, die auf keinem Gebäudeplan verzeichnet waren, bis hin zu sintflutartigen Regenfällen. Für eine Baustelle bedeutet das Planungsschleifen und Zusatzaufwand, der so nicht geplant war. Gleichwohl bauen wir noch kein Jahr und sind bereits wieder am Aufbau: Das Dach wird gerade gedeckt, die neuen Fenster sind bereits eingebaut. In vielen Zimmern ist der Estrich bereits gegossen und der technische Unterbau für die Bäder ist da. Es geht also gut voran.

Wird es nach dem Umbau mehr Zimmer im Brenners geben?

Nicht wirklich. Hatten wir bislang über alle Hotelgebäude hinweg 105 Zimmer, werden es nach dem Umbau 106 sein. Allerdings haben wir den Zimmermix etwas verändert, um mehr Zimmer in den unteren Kategorien zu gewinnen. Das soll uns beim Yield Management helfen, stärker in den Verkauf zu treten, gerade auch in Bedarfsperioden. Wir kommen künftig auf 14 Zimmerkategorien, die sich unter anderem nach der Zimmerlage – Parkseite, Schillerstraße, fünfte Etage – und der Zimmergröße – Doppelzimmer, Junior Suite, Prestige Junior Suiten – bemessen. Viele Kategorien sind auch der Tatsache geschuldet, dass wir für die 79 Zimmer im Haupthaus 27 unterschiedliche Designkonzepte entwickelt haben.

Henning Matthiesen

Seit viereinhalb Jahren steht der 52-Jährige dem Brenners Park-Hotel & Spa als Geschäftsführender Direktor vor. In dieser Funktion ist er damit betraut, das Stammhaus der Oetker Collection weiterzuentwickeln und in die Zukunft zu führen. Matthiesens Karriere startete mit einer Ausbildung zum Hotelfachmann im Hotel Prem in Hamburg. Es folgten Stationen im Claridge’s in London, im Royal Monceau in Paris, im Hotel Vier Jahreszeiten in München und im Adlon Kempinski in Berlin. Seine erste Stelle als General Manager trat Matthiesen 2007 im Coombe Abbey Hotel in der Grafschaft Warwickshire in Großbritannien an. Er eröffnete das The Augustine Hotel für die Rocco Forte Collection in Prag, leitete das Grand Hotel Heiligendamm und das Excelsior Hotel Ernst in Köln. Der gebürtige Wedeler ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Das klingt ambitioniert – wer zeichnet dafür verantwortlich?

Beim Interior Design wurden wir wieder federführend von Bergit Gräfin Douglas und ihrer Firma MM­Design aus Frankfurt begleitet, die Zimmergestaltung trägt also wie schon seit jeher ihre Handschrift. Hier standen vor allem Werte im Fokus und keine schnelllebigen Trends. Denn was zeichnet das Zimmerdesign des Brenners aus? Das ist Individualität. Wir waren nie austauschbar und werden es auch nie sein. Unsere Gäste wollen nach dem Umbau ihr Brenners wiedererkennen. Wir werden den Grandhotel-Stil also klar beibehalten, im Vergleich zur Villa Stéphanie aber nicht ganz so ­modern werden.

Können Sie das konkretisieren?

Unsere hochwertigen Antiquitäten bleiben Teil des Hotels und werden nach wie vor mit zeitlosem Mobiliar und handverlesenen Materialien und Stoffen kombiniert. Die Suiten sind künftig mit Parkettfußboden, Teppichen, Antiquitäten und klassischen Polstermöbeln ausgestattet. Weiterhin nicht geben wird es vollautomatische Vorhänge oder iPad-gesteuerte Technikszenarien. Es bleibt schlicht beim Lichtschalter – ganz einfach, nicht kompliziert. Die Original-Lampen wurden größtenteils aufgearbeitet und mit einer KNX-Lichtsteuerung versehen. Außerdem haben wir zwei Badtypen konzipiert: Die Bäder ohne Tageslicht sind mit sehr hellem Stein gestaltet, alle mit Tageslicht mit Crema-Marfil-Naturstein. Auch das Layout der Waschtische sorgt für Abwechslung: mal sind sie geschlossen, mal offen gehalten.

„Wir waren nie austauschbar und werden es auch nie sein.“

Welche Erwartungshaltung seitens der Gäste schlägt Ihnen entgegen?

Die Erwartungshaltung, dass wir etwas Neues schaffen, ohne damit die Eleganz und die gewohnte Brenners-Atmosphäre zu nehmen. Die Weiterentwicklung des Hotels muss also sehr behutsam, bedacht und ruhig geschehen. Ob neues Zimmer- oder Flur-Design, wir werden die Erwartungshaltung der Gäste auf den Punkt genau treffen, weil wir im Vorfeld alles im Detail und im Sinne des Gastes durchgegangen sind. Vom Licht im Bad über die Spiegel bis hin zur Lichtsteuerung – wir halten alles einfach, um es bedienbar und angenehm für den Gast zu machen. Aber auch, um den Wiedererkennungswert des Brenners und seine DNA zu erhalten, damit wir die Geschichte des Hauses erfolgreich fortschreiben können. Wir bauen schließlich für die nächsten Generationen.

Mit dem Umbau können Sie sicherlich auch an einigen energetischen Stellschrauben drehen, welche Neuerungen sind hier vorgesehen?

Das fängt bei der Dachdämmung an, denn das alte Dach war 112 Jahre alt und ungedämmt. Hinzu kommen dreifach verglaste Holzfenster, eine Photovoltaik-Anlage auf dem Flachdach, eine Gebäudekühlung mit Kaltwassersatz, die die bisherigen FCKW-Split-Klimageräte auf den Zimmern ablöst, und Wärmerückgewinnung. Auch hier gilt wieder der Grundsatz: alles sollte möglichst einfach sein, nicht kompliziert. Ziel sind klar energetische Kosteneinsparungen. Außerdem gewinnen wir viel Stauraum im Untergeschoss, weil sich die Technikanlagen heutzutage doch ziemlich verkleinert haben.

Trotz des Umbaus haben Sie Teile des Brenners offen gehalten …

Genau, der Umbau betrifft die erste bis fünfte Etage des Haupthauses. Im Erdgeschoss sind also weiterhin das Restaurant Wintergarten und die Oleander Bar geöffnet, im Fritz & Felix Restaurant befindet sich das Frühstücksbuffet. Regulär in Betrieb sind darüber hinaus 23 Zimmer und Suiten in der Parkvilla und der Villa Stéphanie samt Spa, Pool, Fitness und Gartenterrasse. Wir haben uns aus zwei Gründen gegen eine Komplettschließung entschieden: Zum einen wären sonst alle Mitarbeiter weg gewesen und wir hätten zur Wiedereröffnung die Herausforderung, neue Mitarbeiter finden zu müssen. Und zum anderen wären wir bei einer Schließung weg vom Markt, denn im Internet steht in so einem Fall nicht, Brenners Park-Hotel wird saniert, sondern Brenners ist geschlossen.

Wie wird der Hotelbetrieb trotz Baustelle von den Gästen aufgenommen?

Sehr positiv, ehrlich gesagt sogar über unseren Erwartungen. Wir haben höhere Belegungszahlen als gedacht, und trotz Baugerüst erst kürzlich sogar ein Hochzeitsjubiläum mit 80 Gästen ausgerichtet. Da Mangel Nachfrage kreiert, haben wir eher das Problem, dass wir einige Anfragen gar nicht bedienen können, etwa wenn keine Doppelzimmer, sondern nur Suiten verfügbar sind. Das ist der momentan nicht vorhandenen Angebotsvielfalt geschuldet, die den Zimmerverkauf dann schon mal zum Puzzlespiel macht, auch weil wir viele Longstay- und Brenners-Medical-Care-Gäste haben.

Ein Jubiläum mit 80 Gästen bei 22 Zimmern?

Das war eine große Herausforderung und das Hochzeitsjubiläum hat uns anfangs einige Kopfschmerzen bereitet. Logistisch haben wir dafür mit vielen anderen Hotels und Partnern in Baden-Baden zusammengearbeitet. Zugleich war die Veranstaltung ein großes Revival für unser Team, weil alle darauf warten, endlich wieder loszulegen. Es war überdies unglaublich zu sehen, wie das Team das Restaurant Wintergarten inmitten der Baustelle dekorativ in eine Zauberwelt verwandelt hat.

Henning Matthiesen, Brenners Park-Hotel & Spa
Henning Matthiesen im entkernten Dachstuhl. Der Bauhelm mit der goldenen Eins war ein Geschenk seines Marketingteams zum Bauauftakt. - © Andreas Stephany

Ihr Bauhelm trägt die Nummer 1 – was hat es damit auf sich?

Der Bauhelm mit der goldenen Eins ist ein Geschenk meines Marketingteams zum Bauauftakt. Den trage ich immer, wenn wir Rundgänge für die Mitarbeiter oder die Gäste machen. (lacht)

Man munkelt, Sie kennen inzwischen jeden Nagel und jede Schraube auf der Baustelle. Was bedeutet der Umbau für Sie?

Im Laufe meiner Karriere habe ich schon das eine oder andere saniert und umgebaut, aber nicht in dieser Größenordnung. Als Hotelier so etwas machen zu dürfen und zu können, ist ein Privileg. Es macht großen Spaß, ein Haus mit dieser Historie in die Zukunft zu führen. Dieses Hotel ist bis ins Mauerwerk voller Geschichte: In den Decken sind wir auf Lehmwickel gestoßen und Zeitungen aus den 1950er-Jahren. Im Dachstuhl haben wir Dachbalken mit Einkerbungen gefunden, was bedeutet, dass sie vorher schon einmal woanders verbaut waren. Das sind Dinge, die sie nur mitbekommen, wenn sie permanent auf der Baustelle unterwegs sind. Und für mich ist es wichtig, alles zu wissen, denn als Bauherr hafte ich auch. Es ist ein schönes Gefühl mit dem Fachplaner für Heizung, Lüftung, Klima & Sanitär durch die alten Kellergewölbe zu gehen und von ihm die neu eingebauten Lüftungsgeräte erklärt zu bekommen. Das ist wie auf einer Werft, wo sie einmal alles rausnehmen und wieder einbauen.

Sie haben also keinen Generalunternehmer beauftragt?

Nein, wir machen alles selbst, ich bin der Bauherr. Ich habe ein tolles Projektteam an meiner Seite, mit dem ich diese Aufgabe bewältige und mit dem ich auch die Vergaben an die Fachplaner mache. Etwa 85 bis 100 Gewerke sind hier täglich auf der Baustelle zugange, darunter vor allem Firmen aus der Region. Sobald der Estrich und Rohbau fertig sind, werden es noch mehr.

Seit wann genau läuft die Planung für den Umbau?

Als ich 2020 ins Brenners Park-Hotel kam, gab es bereits Ideen und Musterzimmerpläne, allerdings nur für eine Zimmeraufwertung. Durch die Coronapandemie wurde diese erst einmal gestoppt. Unser Team hat die Zeit jedoch genutzt, um noch einen Schritt weiterzugehen und auch die Infrastruktur anzupacken. Wir haben alle Bereiche und Aspekte durchleuchtet, die eine Modernisierung mit sich bringen würde. Allein im Haupthaus gab es über 430 Quadratmeter ungenutzte Fläche, weil die früheren Bediensteten-Zimmer irgendwann zu Lagerräumen umfunktioniert wurden. Außerdem fehlte ein Roomservice-Fahrstuhl, der zentral gesteuert von unten das gesamte Gebäude bedienen kann, und die Klimatechnik war in die Jahre gekommen. Ende 2021 haben wir die Architekten von Aukett + Heese aus Berlin mit dem Umbau beauftragt, im Herbst 2023 folgte der Baubeginn.

„Das Haupttreppenhaus, das bisher im vierten Stock endete, haben wir in den fünften Stock verlängert.“

Sie hatten Lagerräume für Tapeten, für Stoffe – was passiert jetzt damit?

Im Rahmen der Sanierung haben wir die alten Tapeten aus unserem Tapetenlager genommen und daraus Einbände für Notizbücher gemacht. Die Notizbücher haben wir unseren Stammgästen zu Weihnachten geschenkt und den Rest verkaufen wir in unserer Boutique. Ganz aktuell haben wir zudem Kopfkissen, Westen und eine Kochschürze bemustern lassen, die wir aus alten Gardinen und Stoffen hergestellt haben, die in den alten Zimmern waren. Hier haben wir viele hundert Stoffmeter, aus denen demnächst einzigartige Erinnerungsstücke werden.

Ein Umbau in einem Altbau ist immer auch mit hohen Denkmalschutzauflagen verbunden …

Das ganze Gebäude steht unter Denkmalschutz, entsprechend hat ein Restaurator vorab alles geprüft. Anhand seiner Dokumentation werden wir nun auch einiges wieder ein bisschen in die Historie zurückführen, etwa bei der Dachlandschaft mit vergrößerten Dachgauben oder bei unseren Fahrstuhltürmen neben dem Haupteingang, die wir etwas heruntersetzen, so wie es ursprünglich einmal war. Da sich manche Themen aber erst beim Abbruch oder im Bauszenario ergeben, laufen auch weiterhin noch Abstimmungsarbeiten mit dem Denkmalschutz. Etwa als es darum ging, den Flur in der fünften Etage zu versetzen, um diese aufzuwerten. Auch haben wir das Haupttreppenhaus, das bisher im vierten Stock endete, in den fünften Stock verlängert. Nur dürfen Sie in dem Fall das bauzeitlich originale Geländer nicht einfach verlängern. Vielmehr muss es sich vom Original absetzen, sodass erkennbar ist, dass es nicht aus einer früheren Bauzeit stammt. Dafür haben wir gemeinsam einen Weg gefunden.

Wird es über den Umbau hinaus noch weitere konzeptionelle Änderungen geben?

An unseren Gastronomiekonzepten selbst werden wir nichts ändern. Gerade das Fritz & Felix haben wir seit 2018 gut am lokalen Markt positioniert und machen dort entsprechend weiter, wo wir aufgehört haben. Auch die Erdgeschossbereiche bleiben weitestgehend, wie sie sind: Nur am Empfang, der Boutique und der Smokerslounge werden wir baubedingt einige Umstellungen vornehmen. Eins ist sicher: Es wird sensationell, wenn wir fertig sind.

Im Brenners sind regulär um die 300 Mitarbeitende beschäftigt, derzeit arbeitet nur ein Bruchteil von ihnen. Welche Lösungen haben Sie für alle anderen während der Umbauzeit gefunden?

Um unser Team auch während der Renovierungsphase zu halten und ihm Sicherheit zu geben, haben wir allen Mitarbeitern und Azubis die Möglichkeit gegeben, für einige Wochen oder Monate Erfahrungen in anderen Hotels in Deutschland, Europa und der Welt zu sammeln. Dafür haben wir eine Liste mit Jobangeboten aus den Schwesterhäusern der Oetker Collection, den Hotels der Selektion Deutscher Luxushotels (SDL) und weiteren befreundeten Betrieben erstellt. Wir haben keinen einzigen Mitarbeiter aufgrund der Umbauarbeiten entlassen. Das zeigt auch unseren Family Spirit, gemeinsam durch die Zeit durchzugehen und nach Möglichkeiten zu suchen, die für alle funktionieren. Darüber hinaus erhalten alle Festangestellten, die dem Luxushotel bis zur Fertigstellung der Modernisierung treu zur Seite stehen, einen Durchhalte- oder Rückkehrbonus in Höhe von zehn Prozent ihres Jahresgehalts.

„Wir haben keinen einzigen Mitarbeiter aufgrund der Umbauarbeiten entlassen.“

Wie werden diese Möglichkeiten genutzt?

Die meisten Kollegen sammeln Erfahrungen in anderen Hotels. Unser Küchenchef Farid Fazel vom Restaurant Fritz & Felix etwa war fünf Monate auf Jumby Bay Island in Antigua in der Karibik und unterstützt inzwischen mit vier weiteren Kollegen das Schwesterhotel Hotel du Cap-Eden-Roc in Südfrankreich bei der Sommersaison. Unsere Online-Marketing-Managerin Julie Rudolf wiederum hat fünf Monate lang im Pariser Office der Oetker Collection neuen Input für den Marketing- und PR-Relaunch unseres Hotels sammeln können. Und viele Auszubildende sind in Häusern der SDL untergekommen, etwas dem Severin’s auf Sylt, dem Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg oder dem Excelsior Hotel Ernst in Köln.

 Nicht zuletzt haben Sie auch eine bekannte tierische Mitarbeiterin im Hotel. Was macht Hauskatze Kléopatre?

Kléopatre hat bei unserem IT-Manager Bernd Orttenburger ein neues Zuhause gefunden. Er wohnt fußläufig vom Hotel entfernt und hat selbst zwei Katzen. Es gibt sogar eine Teamsgruppe mit dem Namen „Kleo-Fans“. Dort herrscht Dauerbetrieb, denn Herr Orttenburger postet täglich Kleo-Bilder. Aber es gibt auch Gäste, die nach Kleo fragen und sogar bei ihm anrufen.

Wie halten Sie die pausierenden Mitarbeiter auf dem Laufenden?

Wir sind in ständigem Kontakt und Austausch mit unseren temporär versetzten Mitarbeitern. Wir haben nicht zuletzt durch Corona gelernt, dass es gerade in Krisenzeiten oder Zeiten der Veränderung wichtig ist, viel miteinander zu sprechen. Alle drei Monate gibt es Mitarbeiterversammlungen, außerdem teilen wir permanent Bilddateien über unser Intranet-System und die jüngsten Aktivitäten unseres Sales & Marketing-Teams. Zudem biete ich alle vier Wochen Mitarbeiterführungen über die Baustelle an. Drei, vier Slots, immer mit rund zehn Leuten. So sehen alle den Baufortschritt und können sich damit besser identifizieren.

Und wie motivieren Sie die Mitarbeiter vor Ort?

Wir leben Hotelbetrieb und Baustelle quasi neben- und miteinander. Das macht es manchmal zermürbend und dann gilt es, alle wieder auf die Reise mitzunehmen. Ich liebe es, ein Team zu führen und mit ihm große Dinge und Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Leidenschaft ist ansteckend. Und jetzt, wo alle sehen, dass wir wieder im Aufbau sind, freuen sich alle nur auf eins: Den Hotelbetrieb. Einfach Gastgeber sein und das machen, was wir leidenschaftlich gern tun.

Welche Pläne gibt es fürs Onboarding, wenn der Hotelbetrieb wieder losgeht?

Auch hier gilt es jeden Mitarbeiter mitzunehmen. Das Hotel wird in vielen Aspekten neu sein: Von den Zimmern über die Materialien, die Office-Struktur bis hin zur Lagersituation wird vieles anders, das Housekeeping wandert in den fünften Stock. Dadurch verändern sich Abläufe und wir brauchen sicher ein paar Wochen, bis sich alle voll eingefunden haben. Wir haben Checklisten erstellt, um diesen Prozess zu unterstützen. Auch werden unsere Mitarbeiter einmal testschlafen, nicht zuletzt auch um einmal alle Geräuschkulissen auf Herz und Nieren zu prüfen. Denn eine Klimaanlage hören Sie beispielsweise nicht im Vorbeigehen, die hören sie erst, wenn sie nachts um 1 Uhr klappert.

Und wie nehmen die Baden-Badener und Ihre Stammgäste am großen Brenners Umbau Anteil?

Ihre Teilhabe ist groß. Die Baden-Badener besuchen nach wie vor unser Restaurant Wintergarten, den Salon in der Villa Stéphanie oder auch die dort neu entstandene Gartenterrasse. Fast jeder in dieser Stadt hat irgendeine Verbindung zum Hotel, und alle warten auf die Rückkehr „ihres“ Brenners. Viele, die vorbeigehen, bleiben stehen und schauen. Der eine oder andere fragt, ob er einen Blick auf die Baustelle werfen kann, was wir gern ermöglichen. Stammgästen wiederum schicken wir auch mal ein Bild vom Umbau „ihres“ Zimmers und haben im Gegenzug schon mal den Hinweis erhalten, dass wir in „ihrem“ Zimmer keine Badewanne einzubauen brauchen (lacht). Da wir in engem Austausch mit unseren Gästen stehen, wissen wir, dass sie sich sehr auf das neue Brenners freuen. Nicht zuletzt sind in Baden-Baden derzeit drei große Hotels geschlossen: der Badische Hof, der Europäische Hof und wir. Wenn diese Häuser fast zeitgleich an den Markt gehen sollten, dann ist das Attraktivität at its best. Denn welche andere deutsche Stadt hat auf einen Schlag gleich drei renovierte historische Hotels zu bieten?

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Katharina Darisse über Führungsmüdigkeit https://www.tophotel.de/katharina-darisse-ueber-fuehrungsmuedigkeit-343895/ Fri, 12 Jul 2024 06:34:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=343895 Im Interview spricht Katharina Darisse darüber, welchen Herausforderungen sich Führungskräfte heute stellen müssen und was aus ihrer Sicht die Gründe für das Phänomen „Führungsmüdigkeit“ sind.

Als Geschäftsführerin der Initiative „Fair Job Hotels“ und selbstständige Beraterin des „The Skill Shop“ möchte Katharina Darisse auf ein Thema aufmerksam machen, das in der modernen Arbeitswelt immer mehr an Bedeutung gewinnt: Führungsmüdigkeit. Mit Tophotel spricht Darisse darüber und was Unternehmen konkret tun können, damit es gar nicht erst so weit kommt.

Tophotel: Frau Darisse, warum haben Sie den Eindruck, dass Führungsmüdigkeit in der Hotellerie zunimmt?

Katharina Darisse: Diesen Eindruck habe ich, weil ich viele Studien über Personalmanagement, Mitarbeiterbindung und Mitarbeitergewinnung lese. Das ist Teil meiner Arbeit, weil wir bei Fair Job Hotels intensiv mit den Personalverantwortlichen von derzeit 111 Hotels in Deutschland arbeiten. Wenn man sich diese Studien anschaut, fällt neben einer generellen Arbeitsmüdigkeit auch eine stärkere Führungsmüdigkeit auf. Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass nur etwa jeder Zehnte heute noch Führungsverantwortung übernehmen möchte.

Wie äußert sich Führungsmüdigkeit?

Zum Beispiel, wenn sich Frustrationen aufbauen und es diesen Grundton gibt: „Es verändert sich ja eh nichts, es ist eigentlich egal, ob ich das mache.“ Wenn man eine emotionale Erschöpfung feststellt und die Begeisterung für die Sache abnimmt.

Dazu gehört auch der Verlust der eigenen Leistungsfähigkeit. Natürlich hat man auch mal einen Tag, an dem man merkt, ich arbeite und arbeite, aber kriege heute nichts richtig zustande. Aber das ist ganz menschlich und normal. Wenn es aber Tag für Tag schwerfällt, sich für seine Themen so zu begeistern, dass man vorankommt und zielgerichtet und fokussiert arbeiten kann, dann sollte man hinterfragen, woran das eigentlich gerade liegt.

Wie kommt es dazu, dass Führungskräfte nicht mehr führen möchten?

Dafür gibt es mehrere Ursachen. Einmal sollte sich das Unternehmen bewusst werden, welche Signale die Führungsebene an das Team aussendet. Stellen Sie sich vor, Sie sind Teil eines Teams und blicken nach oben: Was sehen Sie da? Sieht man da eine überlastete Führungskraft, die gerade versucht, ein Team zu führen, in dem zwei Stellen nicht besetzt sind, in dem sich das Team überlastet fühlt und deshalb unzufrieden ist?

Oder sieht man da eine Führungskraft, die es schafft, die Interessen des Teams und die Interessen des Unternehmens gut zusammenzuführen, das Team zu motivieren, sodass eine positive Unternehmenskultur und ein positiver Umgang im Team herrschen? Dann sieht man da natürlich ein Vorbild und sieht sich selbst eher in der Lage, eine solche Position zu übernehmen. Führungsmüdigkeit hängt stark mit der Unternehmenskultur und dem Thema „Wertschätzung“ zusammen.

"Wenn ich als Führungskraft müde und frustriert bin, strahle ich das aus, dann verankert sich dieses Bild auch bei jungen Mitarbeitenden."

Warum ist die Unternehmenskultur so wichtig? 

Es hängt so viel am Thema Unternehmenskultur. Die Unternehmenskultur ist die Basis für alles. Sie ist die Grundlage für das erfolgreiche Wirtschaften. Ohne dieses Verständnis, wie wir gemeinsam zusammenarbeiten, was wir zusammen erreichen wollen, gelingt eine Transformation im Unternehmen nicht. Ich kann ohne eine gute Unternehmenskultur nicht erreichen, dass meine Mitarbeiter wirklich mitziehen.

Ist das der Fall, dann öffnen sich meine Mitarbeiter mir auch nicht, um aufzuzeigen, wo die Probleme im Betrieb liegen. Haben sie schon mehrmals auf Probleme hingewiesen, ohne dass etwas passiert ist, dann tun sie das auch nicht mehr. Dies führt zu weniger Innovationskraft, und langfristig stellt sich eine geringere Leistungsbereitschaft ein. Probleme offen anzusprechen, dazu gehören sehr viel Vertrauen und Offenheit. Erst recht, wenn es um Führungsmüdigkeit geht. Dafür muss die Atmosphäre vorhanden sein.

Was können Gastgeber konkret tun, um einer solchen Müdigkeit entgegenzuwirken?

Ein Unternehmen muss sich genau darüber im Klaren sein, was die Führungsebene ausstrahlt. Ist die Führungsebene überfordert? Sehe ich, dass die Führungsebene stets überlastet ist und keine Zeit hat, auf die Mitarbeitenden einzugehen, keine Zeit hat, ihnen zuzuhören und sie empathisch zu führen? Oder arbeitet die Führungsebene erfolgreich und kann im Team gemeinsame Erfolge erzielen? Wenn eine Führungskraft müde und frustriert ist, weil sie nicht vorankommt, weil ihr Mitarbeitende oder Ressourcen fehlen, dann strahlt sie diese Frustration auch aus. Das verankert sich als Vorbild schließlich auch bei jungen Mitarbeitenden. Diese wägen natürlich ab, was sie gewinnen oder verlieren, wenn sie den Schritt in die Führung gehen.

Ein Bild davon können sich Unternehmen mit Umfragen im Betrieb oder durch Gespräche machen. Ein klassisches Instrument, um Führungsmüdigkeit zu erkennen, sind Stay-Interviews. Diese können bei der Früherkennung helfen. Der Geschäftsführer kann sie selbst mit der Führungsebene führen, aber auch das mittlere Management dazu anregen, Stay-Interviews zu führen. Um Führungskräften die Werkzeuge für gute Führung an die Hand zu geben lohnt es sich, ihnen monatlich einen Leadership-Coach zur Verfügung zu stellen. Dann bekommt die Führungskraft kontinuierlich die Unterstützung, die sie braucht. Es lohnt sich, externe Experten hinzuzuziehen, die den Führungskräften regelmäßig zur Seite stehen.

Wie stellen Geschäftsführende sicher, dass ihnen die Nachwuchsführungskräfte nicht ausgehen?

Es ist wichtig, Klarheit darüber zu schaffen, was auf Mitarbeitende zukommt, wenn sie den Schritt in die Führungsebene gehen möchten. Wenn ich als Geschäftsführer merke, dass eine Führungsposition per se nicht mehr unbedingt reizvoll ist, dann muss ich mir überlegen, wie ich diese wieder attraktiv machen kann. Ich muss mir überlegen, was ich tun kann, damit der Mitarbeiter intrinsisch motiviert ist und Freude daran hat, diesen Weg zu gehen. Ein Weg ist zum Beispiel, junge Mitarbeitende in Projekte einzubinden. Oder sie in Testphasen mehr Führung übernehmen zu lassen. Das muss im Team nicht als Testarbeiten kommuniziert werden, damit der Mitarbeiter anschließend ohne Gesichtsverlust sagen kann, ob er diesen Schritt gehen möchte oder nicht. Er kann sich selbst ausprobieren. 

Warum nehmen Führungskräfte den Druck auf sich und ihre Arbeit heute deutlich stärker war als früher?

Weil sich die Art des Führens verändert hat. Eine Führungskraft muss heute mehr können oder leisten als plakativ gesagt vor rund 50 Jahren. Damals hat sich eine Führungskraft dadurch ausgezeichnet, dass sie mehr gearbeitet hat als andere, dass sie vielleicht studiert hatte und dadurch über Kompetenzen verfügte, die manche im Team eventuell nicht hatten. Heute starten viele junge Menschen mit einem Studium ins Berufsleben. Generell, würde ich sagen, sind junge Menschen besser qualifiziert, wenn auch nicht in allen Bereichen der klassischen Bildung. Zusätzlich muss eine Führungskraft heute mit der Schnelligkeit des Arbeitslebens zurechtkommen, topinformiert sein, den technologischen Fortschritt einführen können und als empathischer Coach fungieren. Dadurch hat sich das Führungsprofil klar verändert, und die Verdichtung an komplexen Aufgaben überfordert schneller.

"Wertschätzung und Unternehmenskultur spielen eine entscheidende Rolle dabei, der Führungsmüdigkeit vorzubeugen."

Was hat sich konkret noch verändert im Umgang mit den Mitarbeitenden?

Das Team kann sich, zum Beispiel durch digitale Tools, sehr gut selbst organisieren und möchte sich auch selbst organisieren. Ich als Führungskraft muss weniger kon­trollieren und mehr mit Weitsicht in die Zukunft blicken. Auch zum Beispiel im Punkt Fachkräftemangel. Auf der Führungsebene gibt es weniger Planungssicherheit, wirtschaftliche Unsicherheiten haben zugenommen, wie wir es während der Coronapandemie erlebt haben und durch den Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig nehme ich als Coach das Team auf Augenhöhe wahr und stehe ihm coachend zur Seite. Diese zwischenmenschliche Kompetenz wurde aus meiner Sicht früher viel weniger verlangt.

Was kann ein Unternehmen tun, um seine Führungspositionen attraktiver zu gestalten?

Es sollte schauen, ob die Anforderungen, die es an ein Führungsprofil stellt, heute eigentlich noch mit der Arbeitswelt vereinbar sind. Ich nehme als Beispiel mal die klassische Reisetätigkeit. Das ist für manche Menschen sehr attraktiv. Hat die Führungskraft aber zum Beispiel Familie, dann kann dies schnell zu einer Überforderung führen. Hier sollte man die Stellenbeschreibungen prüfen und sich fragen: Was brauche ich wirklich? Vielleicht kann die Reisetätigkeit auf das Team verteilt werden, sodass die Vereinbarkeit mit der Familie wieder gegeben ist. Ein Recruiting-Tipp ist, viel mehr Differenzierung in die Stellenbeschreibungen zu bekommen. Storytelling! Wie sieht der Arbeitstag der gesuchten Führungskraft wirklich aus? Manche Unternehmen nutzen hier schon Audiodateien, die von direkten Vorgesetzten gesprochen werden. Ein Unternehmen hat letztlich drei Aufgaben, um die Führung wieder attraktiver zu gestalten: Für Klarheit zu sorgen, die Anforderungen zu überprüfen und entsprechende Vorbilder zu schaffen.

Wie gehen die Führungskräfte der Fair Job Hotels mit diesen Herausforderungen um?

Die Personalverantwortlichen der Hotels treffen sich jeden Monat in unseren „HR-FAIRstärkungs-Calls“. Sie können auf das Netzwerk und die Community zugreifen, was unheimlich hilft. Dieses Arbeiten im Netzwerk finde ich sehr wichtig. Man fühlt sich weniger allein gelassen und weiß, wo man sich Input für die eigenen Herausforderungen holen kann.

Haben Sie ein Rezept, das Ihnen dabei hilft, mit Belastungen umzugehen?

Bei mir muss es meiner Familie und vor allem den Kindern gut gehen, damit ich volle Leistung in meinem Beruf erbringen kann. Ich brauche eine Struktur, die mir die Ruhe gibt, mich meiner Führungsaufgabe zu widmen. Bei dieser Struktur spielen meine Eltern eine wichtige Rolle, ein uns unterstützendes Au-pair, das mir die notwendige Flexibilität gibt. Und vor allem habe ich einen ganz tollen Ehemann, Julian, der 50 Prozent der Verantwortung, also auch Zahnarzttermine und Elternabende, mitübernimmt. Wir teilen uns die Aufgaben. Persönlich ziehe ich meine Kraft aus der Familie, liebe die Gespräche mit meinen Freunden und vor allem Spaziergänge in der Lüneburger Heide, seit neuestem mit Hündin Robbie. Das sind meine Ruhepunkte.               

Katharina Darisse

Seit September 2023 ist Katharina Darisse Geschäftsführerin der Fair Job Hotels, einem Zusammenschluss von mehr als hundert Hotels. Diese wollen gemeinsam attraktive Arbeitsbedingungen schaffen und dafür sorgen, dass die Hotellerie als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird. Mit ihrem Unternehmen „The Skill Shop“ ist Darisse außerdem als Trainerin und Beraterin tätig. Sie ist Dozentin an der internationalen Hochschule IUBH in Hamburg und unterrichtet im dualen Studiengang „Unternehmerisches Hotelmanagement“. Darisse hat Business Administration und Hotelmanagement am Schweizer Campus der Washington State University studiert. Sie war in führenden Positionen für Kempinski in Peking und Shanghai tätig, und für Ritz-Carlton in Toronto. Katharina Darisse ist verheiratet und hat drei Kinder.

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Kevin Nattermann über Reflexion und Gesprächskultur https://www.tophotel.de/kevin-nattermann-ueber-reflexion-und-gespraechskultur-339943/ Fri, 10 May 2024 13:33:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=339943 Statt Beurteilung setzen der General Manager und sein Führungsteam des Le Méridien Frankfurt auf wertschätzende Reflexionsgespräche. Wir haben uns mit ihm über das Konzept unterhalten.

Unter der Führung von General Manager Kevin Nattermann entwickelt das Le Méridien Frankfurt seine Unternehmenskultur derzeit umfassend weiter. Dafür wurde nicht nur ein Unternehmensleitbild entwickelt, sondern auch das klassische Jahresgespräch abgeschafft. Wir haben uns mit ihm Reflexion und Feebackkultur unterhalten. Und darüber, warum es eine neue Art des Mitarbeitergesprächs braucht.

Tophotel: Herr Nattermann, Jahresgespräche zählen zu den Instrumenten zeitgemäßer Unternehmenskultur. Sie sagen nun, diese seien veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Eine gewagte These.

Kevin Nattermann: Durchaus, schließlich gehört unser Haus zu einem großen Hotelkonzern, wo das klassische jährliche Recap-Gespräch in der DNA verankert ist. Worum es mir geht, ist, dass wir davon wegkommen müssen, dass es mit einem festen Gesprächstermin im Jahr getan ist. Das ist nicht mehr zeitgemäß, weil es in der Arbeitswelt heute eine viel größere Dynamik gibt, auf die wir reagieren müssen. Dazu gehört, Mitarbeitenden in immer kürzeren Intervallen Feedback zu geben. Nicht mehr zeitgemäß ist auch der Begriff Beurteilung, der ein Top-down-Verhältnis suggeriert. Sprich: Der Chef setzt sich mit seinen Mitarbeitenden an einen Tisch, sagt, was läuft und was nicht, und diese sollen im Ergebnis bitte daran arbeiten. Stattdessen braucht es Reflexion auf beiden Seiten, um dauerhaft Loyalität und Bindung zu schaffen.

Sie wollen es anders machen und haben jetzt in Ihrem Haus das sogenannte Reflexionsgespräch eingeführt: Was hat es damit auf sich?

Seit Jahresanfang führen wir Reflexionsgespräche, die sich nicht nur namentlich, sondern auch inhaltlich vom klassischen Beurteilungsgespräch unterscheiden. Unser Ansatz ist, dass der Mitarbeiter den ersten Schritt macht. Sprich, seine Aufgabe ist es, sich vor dem Gespräch mit sich und seinen Werten auseinanderzusetzen, aber auch mit den Dingen, die ihm im Job wichtig sind.

Warum suchen Sie als Arbeitgeber den Weg über die Reflexion?

Aufgrund akuter Gegebenheiten wie dem Fachkräftemangel oder der Generationenunterschiede wird Reflexion im Beruf immer wichtiger. Es reicht nicht mehr aus, die Mitarbeitenden zufriedenzustellen, wir müssen auch mit ihnen in den Diskurs gehen, ihnen Wege zur Weiterentwicklung aufzeigen und die Möglichkeiten, die unsere Branche mit sich bringt. Dafür muss ich als Arbeitgeber nicht nur meine eigene Situation und die des Betriebes reflektieren, sondern mich auch in meine Mitarbeitenden hineinversetzen und überlegen, an welchem Punkt sie gerade in ihrem Leben stehen, beruflich wie privat. Welche Werte sind ihnen wichtig, um sich entwickeln und aus diesem Entwicklungsprozess heraus eine Zufriedenheit erlangen zu können? Genau das zahlt langfristig auf Loyalität und Bindung ans Unternehmen ein. 

„Wir gelangen in einen anderen Austausch, in ein Gespräch auf Augenhöhe.“

Mitarbeitergespräche sind per se oft mit Ängsten oder negativen Emotionen verbunden. Jetzt müssen sich die Mitarbeitenden vorab auch noch selbst Gedanken machen – das klingt anstrengend.

Das ist es und soll es auch sein. Denn das ist zugleich der Sinn der Reflexion, dass ich mir Zeit für mich nehme. Und klar, dafür muss ich mich mit mir selbst ausein­andersetzen. Ich muss überlegen, wie bin ich in diesem bestimmten Punkt, wo sehe ich mich? Was sind meine Werte, werden sie erfüllt, sind sie im Einklang mit mir? Wie empfinde ich zu einem gewissen Thema? Das strengt an und ist ein Prozess, der schon stattgefunden haben soll, bevor wir in die Gespräche gehen.

Welche Hilfestellung geben Sie dafür an die Hand?

Wir nutzen das Tool My-Reflection, das von Newworx aus Frankfurt entwickelt wurde. Dabei erhält der Mitarbeiter zusammen mit der Gesprächseinladung einen Link. Für den dort hinterlegten Fragebogen hat er zwei Stunden Zeit, die als Arbeitszeit gewertet werden, sodass er ihn beispielsweise auch zu Hause auf dem Sofa ausfüllen kann. Der Mitarbeiter soll dabei reflektieren, inwieweit seine Arbeit im Einklang mit seinen Werten wie auch den Unternehmenswerten steht. Ob er sich bezüglich seiner Karriere an der richtigen Stelle befindet? Und ob er einen Beitrag zu diesen Unternehmenszielen und -werten leistet oder ob es Diskrepanzen gibt. Mit der Auswertung, die ich beziehungsweise der entsprechende Abteilungsleiter ebenfalls erhält, geht der Mitarbeiter dann initiativ in den Reflexionstermin.

Das heißt, die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter selbst soll nun durch das Gespräch führen?

Ja, aber sie sind dabei nicht ganz auf sich allein gestellt. Unsere Führungskräfte leiten durch die Gespräche hindurch und wurden dafür professionell geschult. Aber klar, diese Gesprächssituation ist für einen Mitarbeiter, der nicht täglich Personalgespräche führt oder es nicht gewöhnt ist, über sich selbst zu sprechen, erst einmal gewöhnungsbedürftig. Dafür gilt es einen Rahmen zu schaffen, Sicherheit zu geben, aber auch zu motivieren und zu vermitteln: das ist wichtig und du hast eine Stimme. Das braucht ein bisschen Übung. Durch gezielte Fragen kommen wir schnell in ein wirkliches Gespräch, bei dem sich der Mitarbeiter öffnet. Meine Aufgabe als Führungskraft ist, aktiv zuzuhören, Fragen zu stellen und gegebenenfalls einen Perspektivwechsel anzubieten. Ich gehe davon aus, dass sich eine gewisse Routine ent­wickeln wird, sobald wir den Gesprächsturnus zwei-, dreimal durchgespielt haben. Momentan ist es noch eine große Veränderung und es braucht seine Zeit, um eine gewisse Komfortzone für alle zu entwickeln.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Auswertung?

Für mich und meine Führungskräfte ist es besonders interessant, wo es Abweichungen gibt. Welcher Wert ist dem Mitarbeiter wichtig, der aber im Job nicht 100-prozentig erfüllt wird? Wo gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was er sich wünscht und der Realität? Diese Punkte greifen wir auf und setzen den Hebel an. Was fehlt, was vermisst der Mitarbeiter? Was können wir als Betrieb tun, um diesen Bedarf zu decken? Gleichzeitig nutzen wir die Möglichkeit, einen Perspektivwechsel anzubieten oder dem Mitarbeiter unser Feedback zu geben. Etwa, wenn wir bei den Unternehmenswerten vermissen, dass sie auch gelebt werden. Oder wenn sich ein Mitarbeiter an einem anderen Punkt sieht als wir. Dann stellen wir das zur Diskussion und gelangen so in einen komplett anderen Austausch, in ein Gespräch auf Augenhöhe. Das ist ein Unterschied, den wir anhand der ersten Gespräche bereits feststellen können.

Über Kevin Nattermann

Kevin Nattermann, 35, ist General Manager des Le Méridien Frankfurt und Marriott Business Council Chair Central Germany. Im Vorstand der Frankfurt Hotel Alliance ist er für den Bereich Human Resources zuständig sowie Schirmherr der Kampagne „Coole Branche“. Er begann seine Laufbahn für Marriott International mit einer Ausbildung zum Hotelfachmann im Sheraton Essen Hotel und sammelte anschließend weitere Führungserfahrungen innerhalb des Konzerns bei seinen Stationen unter anderem in Düsseldorf, Hannover, Stuttgart und München. 2020 übernahm er die Leitung des Le Méridien Frankfurt am Hauptbahnhof mit 300 Zimmern, 100 Mitarbeitenden und dem „The Legacy Bar & Grill“.

In der Arbeitswelt will sich nicht jeder selbst verwirklichen, sondern manchem reicht es aus, nur Dienst nach Vorschrift zu machen. Wie nehmen Sie so jemanden in diesem Prozess mit?

Es gibt diese Fälle, und das Thema haben wir im Führungsteam sehr diskutiert. Hier sind wir als Arbeitgeber gefragt. Zum einen suchen wir nach Mitarbeitenden, die nicht dieses Mindset haben. Zum anderen befinden wir uns seit Sommer vergangenen Jahres in einem umfangreichen Employer-Branding-Prozess. Im Zuge dessen haben wir bereits unser Unternehmensleitbild mit unseren Grundwerten entwickelt, und diese spielen natürlich in die Reflexionsgespräche hinein. Im Diskurs versuchen wird daher auch sicherzustellen, dass das Team im Einklang mit unseren Werten steht. Klar gibt es Mitarbeiter, die seit über 30 Jahren dabei sind, alles gesehen und gehört haben. Dennoch wünschen wir uns von allen eine Beteiligung und dass sie ihre Rolle im Betrieb reflektieren. Einen langjährigen Mitarbeiter muss ich deshalb auch anders durch die Gespräche leiten, für Vertrauen sorgen, ihn aber auch aus der Komfortzone holen. Wenn er dann feststellt, wie schön es sein kann, selbst Feedback zu geben und nicht nur zwangsläufig zu bekommen, dann ist das für beide Seiten ein gutes Gefühl. Und der Mitarbeiter fühlt sich gehört.

Ihre Führungskräfte haben für die Reflexionsgespräche ein intensives Training durchlaufen. Wie viele Führungskräfte sind in die Gespräche involviert und wie wurden sie dafür befähigt?

Insgesamt führen 20 Teamleader, davon zehn Department-Heads und zehn Stellvertreter, die Reflexionsgespräche mit unseren rund 100 Mitarbeitern. Dafür haben sie ein intensives Training durchlaufen, unterschiedlichste Szenarien durchgespielt – angefangen beim Setting bis hin zur Gesprächslenkung. Etwa, welche Tools habe ich an der Hand, um den Mitarbeiter im Gespräch nicht zu verlieren oder um ihn zu bestärken, damit er wirklich aufrichtiges Feedback äußert?

Mit welchen Tools arbeiten Sie in der Umsetzung?

Ein Tool ist das Mind-Codex-Persönlichkeitsmodell, ein anderes die Gesprächsumgebung. Jeder neue Mitarbeiter durchläuft bei uns das sogenannte Mind Codex Training, bei dem er sein individuelles Persönlichkeitsprofil entdeckt. Dieses basiert auf den drei Persönlichkeitstypen Macher, Analytiker und Empathiker und berücksichtigt auch die Werte jedes Mitarbeiters. Das zu wissen ist wichtig für die Reflexionsgespräche, denn habe ich einen Analytiker vor mir, muss ich das Gespräch anders aufbauen als bei einem Empathiker. Gleiches gilt für die Gesprächsumgebung. Ein Analytiker fühlt sich in einer anderen Umgebung wohl als ein Empathiker. Was ist also der richtige Ort für das Gespräch, wie ist das Setting am Tisch? Hier haben wir uns auch intensiv mit Rhetorik und Körpersprache auseinandergesetzt.

Mit welchen Erkenntnissen?

Ein wichtiger Punkt sind die Gesprächsanteile. Für mich als Führungskraft war das ein Aha-Moment, denn ich bin es gewohnt, viel zu sprechen, viel zu erklären und sehr aktiv zu sein. Stattdessen soll ich mich in den Reflexionsgesprächen erst einmal zurücknehmen, da die Bühne des Gesprächs dem Mitarbeiter gehört. Auch musste ich lernen, Stille auszuhalten und meinem Gegenüber Zeit zu geben, Feedback zu äußern, anstatt gleich in die Stille reinzuspringen und Redeanteile auf mich selbst zu projizieren. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, ein wirklich ungestörtes Setting zu gestalten. Das heißt, die Gespräche finden Face-to-Face mit dem Auswertungsbogen in der Hand statt. Kein Smartphone, kein Laptop. Wir müssen uns in einem geschützten Raum befinden, an dem uns niemand visuell oder auditiv beobachten kann. Außerdem ist es wichtig, vorschnelle Interpretationen zu vermeiden. Das gelingt, indem man Feedback einfach mal stehen lässt, ohne sich zu rechtfertigen, zu erklären oder zu relativieren. Denn das würde mein Gegenüber sofort hemmen, proaktiv Feedback zu geben.

„Mehr Dynamik, weniger Einbahnstraße.“

Wie gestalten sie die geschützten Räume bei Ihren Gesprächen?

Auch das unterscheidet sich wieder je nach Persönlichkeitsprofil. Eine analytische Person fühlt sich vielleicht dort sicher, wo sie täglich arbeitet. Für sie ist das geschlossene Büro möglicherweise der ideale Ort. Es kann aber auch sein, dass wir das Hotel verlassen, in ein Café gehen, wo uns keiner kennt und wir eine ganz andere Atmosphäre haben. Ein Gespräch fand in unserer Skyline Suite statt, wo man einen tollen Blick über Frankfurt hat und einfach die Tür zu macht. Hier sind keine Grenzen gesetzt, solange sich beide Parteien in der Umgebung wohlfühlen, so dass ein produktives Gespräch entstehen kann.

Mit welchem Ergebnis gehen die Mitarbeitenden aus dem Gespräch heraus?

Am Ende des Gesprächs steht ein individueller Entwicklungsplan, den wir auf Basis der Gesprächsnotizen erstellen. Deshalb endet die Reflexion mit einer Zielvereinbarung zu persönlichen, gemeinsamen, wirtschaftlichen, qualitativen und Zufriedenheitszielen. Wir legen gemeinsam Maßnahmen fest, um Werte, bei denen es Diskrepanzen gibt, wieder in Balance zu bringen. Unterstützende Weiterbildungsmaßnahmen werden ebenfalls schriftlich fixiert.

Wie ist das Feedback der ersten Mitarbeitenden, die die Reflexionsgespräche durchlaufen haben?

Sehr vielfältig. Ich selbst führe die Reflexionsgespräche mit den Abteilungsleitenden. Für sie war es besonders spannend, in die Gespräche zu gehen, nachdem wir gemeinsam das Training durchlaufen haben. Ein Feedback war die Komplexität der eigenen Reflexion. Gerade bei den Führungskräften zeigt sich, wie schwierig es ist, sich wirklich einmal rauszunehmen und sich zwei Stunden auf einen Fragenkatalog zu konzentrieren. Sehr positiv war die Reaktion darauf, dass ein anderer Austausch gelingt als zuvor, weil das Gespräch jetzt einen anderen Rahmen hat. Mehr Dynamik, weniger Einbahnstraße. 

In welchem Zeitraum sollen die Gespräche abgeschlossen sein?

Aufgrund der veränderten Dynamik haben wir den Turnus aufgebrochen, sprich, wir binden die Gespräche nicht mehr fix an das erste Quartal, sondern wir stellen sicher, dass jeder Mitarbeiter im Zeitraum eines Kalenderjahrs ein Reflexionsgespräch absolviert. Das wird auch dem Turnus der Fluktuation gerechter. Denn ein Mitarbeiter, der im Mai startet, musste früher für sein Gespräch auf den nächsten Jahresanfang warten. Ergänzend hinzu kommen flexible Feedback-Gespräche auf wöchentlicher oder monatlicher Basis, sodass ein permanenter Austausch entsteht.

Ist das Reflexionstool auch ein Stück weit der Versuch, einen passenden Umgang mit der Gen Z zu finden?

Explizit darauf ausgelegt haben wir es nicht. Wir haben bei uns einen sehr guten Altersmix, und natürlich gibt es Tendenzen, dass sich eine Gen Z damit leichter tut als die Babyboomer. Aber natürlich ist das Reflexionsgespräch auch eine Maßnahme, die der generellen Entwicklung geschuldet ist. In Hinblick auf die Dynamik des Arbeitsmarkts ist es für uns als Arbeitgeber wichtig, zu überlegen, wie wir unsere Mitarbeitenden nicht nur wertebasiert und generationenübergreifend binden können. Sondern auch, wie wir es schaffen, dass sie sich mit dem Betrieb identifizieren und loyal sind. Aus diesem Prozess heraus ist die Frage entstanden, wie wir mit Beurteilungen umgehen und ob diese noch zeitgemäß sind.

Ohne fähige Führungskräfte ist aber auch ein Reflexionstool nichts wert – wie erkennen Sie die richtigen Leute für diesen Job? Wie befähigen Sie sie?

Wir haben durch die Coronapandemie einen großen Umschwung erlebt und dadurch viele aus der zweiten und dritten Ebene in Führungsrollen hinein entwickelt. Worauf wir beim Recruiting achten – und das auch generell – ist, Charaktere zu finden, bei denen wir das Gefühl haben, es passt für uns und auch die Person sieht sich bei uns. Wir suchen Mitarbeiter, die offen sind, wissbegierig, neugierig und motiviert, zu lernen. Das sind die wichtigsten Aspekte, die jemand, der in eine Führungsrolle kommen möchte, heute braucht. Wir sind in einem großen Konzern mit unendlichen Trainings- und Entwicklungsmöglichkeiten, alles Fachliche können wir vermitteln. Aber was jemand selbst mitbringen muss, ist die Bereitschaft, sich zu entwickeln und die Leidenschaft fürs Tun. Wenn dem so ist, haben wir alle Möglichkeiten, denjenigen voranzubringen. Alles andere macht die Berufserfahrung.

Wann planen Sie ein erstes Zwischenresümee zu den Reflexionsgesprächen?

Das haben wir bewusst offengelassen und keinen Zeitrahmen gesetzt, denn das würde dem widersprechen, was wir uns in Bezug auf die Flexibilisierung vorgestellt haben. Wir werden jedoch zusätzlich zweimal jährlich eine Mitarbeiterumfrage machen. Die Resultate daraus werden wir künftig mit den Erkenntnissen aus den Reflexionsgesprächen abgleichen. 

Das Reflexionsgespräch ist auch Teil eines Leitbildprozesses zu einer neuen Unternehmenskultur, den Sie angestoßen haben – können Sie diesen knapp umreißen?

Das Leitbild besteht aus unseren Werten, aus einer Mission und einer Vision. Die Vision ist es „Your Place to be“ in Frankfurt zu sein – für Mitarbeiter, Gäste und Kunden. Die Werte – Positivität, Verantwortung, Individualität, Selbstvertrauen und Begeisterung – haben wir in diesem Prozess mit allen Mitarbeitern zusammen entwickelt. Daraus ergibt sich unsere Mission „We love what we do“, die wir immer wieder überprüfen. Lieben wir das, was wir tun? Wenn nicht, warum? Was müssen wir verändern, damit wir es lieben? Die Leitbildentwicklung war zugleich eine gute Übung für die Gespräche, denn auch hier mussten wir reflektieren, nicht nur als Betrieb, sondern auch als Arbeitgeber.

Welchen Buchtipp haben Sie für unsere Leser?

Ich lese viele Autobiographien, zuletzt die von Barack Obama. Ich finde es immer spannend von Führungskräften zu lernen, die sehr viel ausbalancieren müssen. Mich interessiert, wie machen es andere, wie steuern und managen sie bestimmte Konflikte? Ein anderes Buch, das ich seit vielen Jahren im Schrank habe, ist „Thank God it’s Monday“. Die Verfasser haben schon vor zehn Jahren über den neuen Arbeitsmarkt geschrieben, darüber, wie uns Flexibilisierung und Dynamisierung treffen werden und wie wir Arbeitsplätze gestalten können, die Spaß machen. Es ist erstaunlich und erschreckend zugleich, wie viele Themen davon immer noch akut oder noch nicht angegangen sind, gerade in unserer Branche. Vieles bewegt sich zwar – aus meiner Sicht aber immer noch zu langsam.

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Kirsten Herrmann über den Umgang mit Ausnahmesituationen https://www.tophotel.de/kirsten-herrmann-ueber-den-umgang-mit-ausnahmesituationen-337482/ Fri, 05 Apr 2024 10:04:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=337482 Das Hotel Hafen Flensburg war von der Flut im Oktober 2023 besonders betroffen. Geschäftsführerin Kirsten Herrmann spricht über ihre Learnings und was der Wiederaufbau finanziell wie emotional bedeutet.

Das Viersternehotel Hafen Flensburg an der deutschen Ostseeküste war von der Jahrhundertsturmflut im vergangenen Oktober besonders betroffen. Für Geschäftsführerin Kirsten Herrmann (45) war es bereits das dritte Hochwasser, das sie seit der Eröffnung im Jahr 2016 miterlebte – nur hat das Ausmaß diesmal alles Vorherige übertroffen. Mit Tophotel spricht sie über das Hineinwachsen in Notfallsituationen, ihre Learnings aus der jüngsten Katastrophe, fehlenden Küstenschutz und was der Wiederaufbau finanziell wie emotional bedeutet.

Tophotel: Frau Herrmann, wie schlafen Sie zurzeit?

Kirsten Herrmann: Nicht gut, denn es ist noch keine Ruhe eingekehrt. Vier Monate nach der Sturmflut sind gerade die letzten Renovierungsarbeiten fertig geworden. Seither hatten wir schon wieder zweimal Hochwasser. Ich fühle mich den Naturgewalten ausgeliefert, zumal auch die Kaimauer nach der Sturmflut abgebrochen ist. Wir haben seitdem einen Bauzaun vor unserem Hotel und wissen noch nicht, wie viele Jahre die Bauarbeiten dauern werden. Flensburg ist eine Touristenstadt, unsere Eins-A-Lage ist unser Aushängeschild. Das macht mir Sorge. Ohne die Sturmflut wäre 2023 unser erfolgreichstes Jahr seit der Eröffnung gewesen – und das macht es schwer.

Als Ende Oktober die Sturmflut angekündigt wurde, wie haben Sie und Ihr Team da reagiert?

Wir haben jedes Jahr ein bis zwei Hochwasser, immer so, dass die Treppenstufe nass wird oder dass wir Wasser in der Garage haben. Ich dachte, okay, wir haben Schotten, Sandsäcke und Pumpen – die vorhergesagten 1,80 Meter werden wir schon schaffen. Dass diese Sturmflut sich dann zur Jahrhundertsturmflut mit einem Pegelhöchstmaß von 2,27 Meter entwickeln würde, damit hat zu diesem Zeitpunkt niemand gerechnet. Am Ende stand das Erdgeschoss von sechs Gebäuden unter Wasser.

Mit der Verschärfung der Lage ist sicher auch die Anspannung gewachsen. Wie sind Sie damit umgegangen?

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Kirsten Herrmann mit ihrer Stellvertreterin Nancy Klindtworth im Schlauchboot. - © Hotel Hafen Flensburg

In solchen Situationen neige ich zu Sarkasmus und Ironie. Als unser Erdgeschoss schließlich unter Wasser stand, habe ich mit meiner Stellvertreterin Nancy Klindtworth ein Schlauchboot aufgepumpt, in das wir hineingesetzt und Shanties gesungen haben. So haben wir unseren Kampfgeist gestärkt, denn wir wollten und konnten nicht aufgeben.

Ihr Hotel wurde im Dezember 2016 eröffnet, bereits fünf Wochen später stand es erstmals unter Wasser. Waren Sie angesichts dieser Erfahrung auf die aktuelle Sturmflut-Situation vorbereitet?

Ja, wir haben einen Notfallplan, der genau beschreibt, was bei welchem Pegelstand zu machen, was aufzubauen ist. Das Prozedere ist allen klar, denn wir üben einmal im Jahr, die Schotten auf- und abzubauen. Auch im Januar 2019 hatten wir ein Hochwasser, bei dem alles unter Wasser stand, aber nicht schlimm, sodass wir danach wieder öffnen konnten.

Doch diesmal kam es schlimmer …

Ja, wir haben bis zum Schluss gedacht, wir schaffen das. Donnerstag war das Hochwasser schon einen halben Meter hoch, doch wir waren so optimistisch, dass wir noch gesagt haben, wir müssen keinen radikalen Abreisetag machen. Und dann kam am Freitag das Wasser bereits durch die Türschlitze geschossen. Die Gäste saßen beim Frühstück und wir haben mit Handtüchern gegen das Wasser angekämpft. Doch es war nichts zu machen, dann wurde der Strom abgeschaltet und in den nächsten 24 Stunden wurde uns noch einmal alles zerstört, nur auf viel brutalere Art.

Was hat Ihnen geholfen, die Ruhe zu bewahren?

Das macht wohl die Routine, wenn man es immer wieder mit Hochwasser zu tun hat. Wir wissen, dass wir das Erdgeschoss leerräumen, die Elektronik sichern müssen. Da wir schon drei Tage vorher informiert waren, dass die Sturmflut kommt, hatten wir diesmal mehr Vorlauf. Wir konnten bereits die IT und die Elektriker holen, um die komplette Technik sichern zu lassen.

Wie haben Sie Ihr Team mitgenommen?

Ich bin es nicht allein, die das Team mitnimmt. Das macht auch der Zusammenhalt in unserer Crew – von meiner Stellvertreterin über den Restaurantleiter bis hin zum Küchenchef. Jeder ist ein Teamplayer, der mitanpackt. Sogar ehemalige Mitarbeiter standen in der Katastrophennacht plötzlich vor der Tür, um uns zu helfen. Ich glaube, weil wir uns alle so einen Support schenken, geben wir auch in einer solchen Situation nicht auf. Das ist wie auf einem Schiff: Nur zusammen kannst du singen, und nur zusammen, schafft du es, so etwas zu überstehen.

Was waren Ihre größten Sorgen und Ängste, und welche die des Teams?

Bei meinen Mitarbeitern war die größte Angst, dass sie ihre Jobs verlieren könnten. Als klar war, dass wir das Hotel wegen der Flut schließen müssen, habe ich mich so machtlos und ausgeliefert gefühlt. Bevor die Gutachter kamen, war erstmal völlig unklar, wer den Schaden bezahlt, ob wir Kurzarbeitergeld bekommen etc.

"Eine Sturmflut steckt man nicht eben mal weg – weder emotional noch körperlich."

Was war die größte Herausforderung?

Dass das Wasser 48 Stunden in den Räumen stand. ­Technisch ist das der Worst Case, weil Salzwasser so ­aggressiv ist. Die Wände haben innerhalb von Stunden zu schimmeln angefangen. Hinzu kommt, dass es keinen Küstenschutz gibt und wir dem Meer damit ausgeliefert sind. Unsere Rettung war die freiwillige Feuerwehr von Meyn, die uns ein Stromaggregat brachte. In dem Moment, als sie da war, wusste ich, dass ich Verantwortung abgeben darf.

Welche Learnings nehmen Sie aus der Sturmflut mit?

Gemeinsam mit dem Leiter der Feuerwehr haben wir inzwischen ein erweitertes Hochwasser-Konzept auf die Beine gestellt, unsere technische Ausrüstung mit weiteren Pumpen und Schläuchen aufgerüstet und zusätzliches Know-how erhalten. Wir hatten bereits unsere eigenen 100 Sandsäcke, nun haben wir 200 Sandsäcke und ein eigenes Strom­aggregat. Jetzt ist uns egal, wann der Strom abgeschaltet wird, unsere Pumpen laufen weiter. Wir haben neue Schächte, zudem digitale Apps auf dem Handy. Sobald das Wasser irgendwo einsickert, bekommen wir eine Warnung. Aber wir wissen es eigentlich auch schon vorher, weil wir jeden Tag auf den Vorwasserstand schauen und die Webseite des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) im Blick haben. In einem gemeinsamen Training haben wir einmal alles zusammen auf- und abgebaut. Wir haben eine neuen Notfallplan erstellt und alles beschriftet, sodass wir beim nächsten Mal wahnsinnig gut vorbereitet sind. 

Wie sieht Ihr Führungsstil aus und inwiefern hat er dazu beigetragen, die Sturmflut zu meistern?

Wertschätzung spielt bei mir eine tragende Rolle. Außerdem bin ich sehr authentisch, empathisch und nahbar – meine Bürotür steht immer offen. Mir ist diese Crew sehr wichtig, sie ist wie eine Familie und das nehmen auch die Gäste so wahr. Ich versuche immer fair sein und vieles zu ermöglichen, etwa auch Mitarbeiter nach der Elternzeit zurückzuholen, Vätern Elternzeit zu geben oder zusätzliche Weiterbildungen zu ermöglichen. Oder wenn ein Azubi mal eine Prüfung nicht schafft, dann macht er sie eben nochmal. Jeder hat eine Chance verdient, manchmal auch zwei. Ich denke, gerade dieses „Familiengefühl“, das wir vermitteln, hat viel dazu beigetragen, die Sturmflut zu meistern.

Wie wappnen Sie sich für derartige Führungssituationen?

Ich habe schon länger einen beruflichen Coach, Jochen Becker, der mir hilft, mich weiterzuentwickeln, ganz gleich, ob es um Personalführung, Krisen oder Zeit­management geht. Es ist gut, jemanden zu haben, der noch mal mit einem anderen Blick auf die Dinge schaut, und ich bin zugleich jemand, der sich gern weiterentwickelt. Vielleicht erklärt das auch, warum ich diese Hochwassersituationen immer wieder bewältigen kann. Wobei ich wirklich Angst vor einer erneuten Sturmflut habe. Denn die steckt man nicht eben mal weg – weder emotional noch körperlich.

Können Sie uns das beschreiben?

Am Tag der Wiedereröffnung am 8. Dezember bin ich erst mal zusammengeklappt. Wir haben bis zur letzten Minute alles hergerichtet. Das Haus war ausgebucht, alles musste wieder funktionieren. Es war quasi wie eine Neueröffnung. Und dann hat mir mein Körper gezeigt, dass es genug ist. Hinzu kam ein Bandscheibenvorfall, weil ich bei der Flut zu schwer gehoben habe. Viele haben mich am Eröffnungstag gefragt, was die Sturmflut mit mir gemacht hat, und ich habe geantwortet: Wir Menschen sehnen uns nach Routine, Kontinuität und Sicherheit. Es war sehr wichtig für die ganze Crew, wieder Sicherheit zu haben. Also haben wir eine Turborenovierung hingelegt, um noch eine Woche früher aufmachen zu können, damit wir noch etwas vom Dezembergeschäft haben.

Kirsten Herrmann

Kirsten Herrmann. - © Michael Kelmer-Schneider

Seit über acht Jahren ist Kirsten Herrmann Geschäftsführerin des Viersternehotels Hafen Flensburg. Bereits mit 14 Jahren wusste die 45-Jährige, dass sie Hoteldirektorin werden will. Nach der Hotelfachschule in Hamburg folgten Stationen im Radisson Blu Hotel & Spa Galway, Irland, im Historischen Krug Oeversee und im Strandhotel Glücksburg, bevor die gebürtige Rostockerin 2015 in dem 69-Zimmer-Haus in ihrer Wahlheimat Flensburg anheuerte und dort bereits die Bauphase begleitete.

Seit der Eröffnung am 1. Dezember 2016 prägt sie das Haus, das aus insgesamt acht zum Teil denkmalgeschützten Gebäuden besteht, mit viel Enthusiasmus und Liebe zum Detail. Angesichts der wiederkehrenden Hochwasser bezeichnet sie sich heute auch als Expertin für Hochwasserschutz und Instandhaltung sowie als Motivationscoach.

Wie sind Sie mit diesem körperlichen Knockout umgegangen?

Ich habe mich drei Tage lang zurückgezogen, meine Ärzte konsultiert und den restlichen Dezember bewusst ruhiger gemacht. Ich musste einfach zur Ruhe kommen, denn ich war sehr angespannt.

Hat sich seither etwas in Ihrem Leben verändert?

Ich plane mehr Ruhephasen ein. Es bringt mir zum Beispiel unglaubliche Ruhe, wenn ich mir am Wochenende einmal nichts vornehme, einfach mal nur einen Tee und ein Buch genieße oder bewusst Zeit mit meinen beiden Töchtern verbringe. Es ist nicht selbstverständlich, dass es uns gut geht – auch in der Hotellerie nicht –, und es war auch nicht selbstverständlich, dass bei der Sturmflut niemandem etwas passiert ist. Hier bin ich sehr froh, dass alles gut gegangen ist.

Wie gehen Sie mit der Hilflosigkeit angesichts der Naturgewalt um?

Das weiß ich selbst noch nicht genau. Momentan ist das immer noch wie ein Schleier, der unterschwellig mitschwingt. Gerade wurden die letzten Reparaturen gemacht und wir sind noch nicht an dem Punkt, wo wir sagen könnten, alles ist wieder wie es war. Die Kaimauer ist abgebrochen, wir haben nur eine Seite vom Hafen – was ist, wenn jetzt das nächste Hochwasser kommt? Wieviel bricht noch weg? Wir haben keinen Schutz, nur unseren eigenen. Deshalb ist es immer ein unangenehmes Gefühl.

In der Katastrophennacht gab sich auch die Politik ein Stelldichein in Ihrem Haus. Hat das etwas gebracht?

Es ist uns unbürokratische Hilfe versprochen worden, und die gab es dann auch in Form des Kurzarbeitergelds, wofür ich sehr dankbar bin. So konnten wir alle 60 Mitarbeiter halten. Außerdem hätten wir ein Förderdarlehen in Höhe von 50.000 Euro beantragen können. Doch das wäre ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen und kam für uns nicht infrage. Ich hätte mir gewünscht, dass es eine Art Wiederaufbaufonds für alle Betroffenen gibt, aus dem wir wenigstens finanzielle Unterstützung für den Hochwasserschutz erhalten würden – damit alle beim nächsten Mal noch besser vorbereitet sind.

"Wenn sich beim Küstenschutz nichts ändert, haben wir in 50 bis 70 Jahren an unserem Hotelstandort ein Problem."

Was bedeutet die jüngste Sturmflut finanziell für Ihren Betrieb? Auf welche Höhe belaufen sich die Instandsetzungskosten über die Jahre hinweg?

Der aktuelle Schaden beläuft sich auf eine Summe von 850.000 Euro. Das umfasst den Umsatzverlust und die Reparaturkosten. Über die Jahre gesehen sind die Instandhaltungskosten leider höher als wir anfänglich gedacht haben, entsprechend müssen wir das Budget immer wieder anpassen und zusätzlich Rückstellungen bilden. Das Hotel liegt an einem niedrigen Punkt, das älteste Gebäude des Ensembles ist aus dem 15. Jahrhundert und hat eine Sohle aus Holzbalken. Dass wir allein jeden Sommer die Fassade neu machen lassen müssen, damit hat niemand gerechnet. Für die reine Instandhaltung des Hotels – ohne Tapete – kommen so jährlich rund 200.000 Euro zusammen. Glücklicherweise haben wir mit der Firma Höft Bau einen Eigentümer, der das Hotel wirklich liebt und unterstützt. Gleichwohl sind wir ein Unternehmen, das Gewinn machen muss.

Was kritisieren Sie darüber hinaus an der Politik?

Dass das Szenario einer Jahrhundert-Sturmflut in Flensburg nie Thema war beziehungsweise nicht ernst genommen wurde. Außerdem, dass die Prozesse jetzt viel zu langsam gehen. Die Stadt muss nun Gelder für die kaputte Kaimauer und den Hochwasserschutz beantragen – nur wer weiß, wann die Gelder kommen, wann die Sanierung beginnen kann? Der Meeresspiegel dagegen steigt und wir bleiben weiterhin Einzelkämpfer. Wenn morgen die nächste Flut kommt, stehen wir vor demselben Dilemma.

Sie haben nach der Sturmflut ein Wiederaufbautagebuch geführt. Hat das auf dem Weg zurück in die Normalität geholfen?

Mit diesem Tagebuch wollten wir zeigen, dass es weitergeht – und das war für unsere Mitarbeiter wie Gäste gleichermaßen gut. Allein auf Instagram hatten wir Tausende Klicks. Ich bin der Meinung, man muss aus jeder Tragödie das Beste ziehen. Mit unseren Social-Media-Aktivitäten wollen wir die Menschen mitnehmen und an unserem Hotelleben teilhaben lassen. Dazu zählen aber nicht nur die schönen Momente, sondern auch die schweren Zeiten, denn so ist das Leben.

Wie ist die Wiedereröffnung angelaufen?

Es kamen viele Gäste, die uns aus dem Fernsehen kannten. Das ist gut, denn für uns ist das Geschäft nicht leicht. Auch hat uns die große Unterstützung, die wir nach der Flut erfahren haben, sehr geholfen. Viele unserer Gäste haben uns Geschenke geschickt, um uns aufzumuntern und zu bestärken. Das war ein toller Support. Doch es gab auch die andere Seite, sprich Unverständnis darüber, dass wir geschlossen hatten.

Sie sagen, ein Hochwasser im Jahr sei inzwischen normal, genauso wie die notwendigen Renovierungsarbeiten danach – fühlen Sie sich da nicht wie Sisyphos?

In Hinblick auf meinen Traumberuf hätte ich früher nie gedacht, dass ich damit heute auch Expertin für Katastrophenschutz und Instandhaltung sein werde. Erst kurz vor der Sturmflut hatten wir alle Räume neu gestrichen. Auf die letzten Türen, die gerade neu eingebaut wurden, haben wir zwölf Wochen gewartet. Mit diesen Situationen umzugehen, habe ich inzwischen gelernt. Meist hilft nur Gelassenheit.

Die Sturmflut zeigt die Verwundbarkeit der Ostseeküste, aber auch den Klimawandel. Was Sie an der Förde erlebt haben, ist vermutlich erst der Anfang …

Ja, und es ist ein krasses Thema – nicht nur für Flensburg. Es geht um Klimaschutz und auch allgemein um den Küstenschutz für Deutschland. Flensburg steht dabei nur exemplarisch für einen Ort. Insgesamt geht es aber um viele – wir reden von der gesamten Hotellerie an der Küste. Bislang existierte kein Bewusstsein dafür, dass wir hier ein Problem beziehungsweise eine Herausforderung haben. Zugleich ist es Tatsache, dass es an unserem Hotelstandort in 50 bis 70 Jahren ein Problem sein wird, ein Unternehmen zu betreiben, wenn sich beim Küstenschutz nichts ändert. Umso wichtiger ist es, dass etwas passiert, sodass Hafenstädte wie Flensburg auch zukünftig die Chance haben, als wirtschaftliche Standorte zu funktionieren.

Welchen Rat haben Sie für andere Hoteliers in Wassernähe für den Umgang mit einer solchen Situation?

Sie sollten in der Planung immer den Hochwasserschutz mitbeachten, lieber höher oder ein Stück weiter hinten im Land bauen. Es muss nicht immer direkt am Strand sein, der Gast kann auch zehn Meter laufen. Außerdem: Schotten haben ist besser, als welche zu brauchen. Über unsere Erfahrungen mit dem Hochwasser im Jahr 2017 haben wir zudem als Teil der Wanderausstellung „Schleswig-Holstein macht sich wasserstark“ berichtet, die vom Umweltministerium in Kiel initiiert wird.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Definitiv keine weitere Jahrhundertsturmflut! Ich wünsche mir, dass das Thema deutschlandweit ernst genommen wird und dass Projekte geschaffen werden, die sich langfristig damit auseinandersetzen, Maßnahmen zu entwickeln, die es möglich machen, ein Hotel an so einem Standort zu betreiben.

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Bodo Janssen über Führung in unruhigen Zeiten https://www.tophotel.de/bodo-janssen-ueber-fuehrung-in-unruhigen-zeiten-332284/ Tue, 20 Feb 2024 07:55:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=332284 Wir haben uns mit dem CEO der Upstalsboom-Hotels über New Work, Mitarbeiterzufriedenheit und Persönlichkeitsentwicklung unterhalten.

Bodo Janssen, CEO der Upstalsboom-Hotels, ist in der Branche kein Unbekannter. Mithilfe von Benediktiner Mönchen hatte er einst seinen eigenen Führungsstil erfolgreich umgestellt und damit für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Doch die Welt hat sich weitergedreht. In seinem jüngst erschienen Buch „Das neue Führen“ befasst sich Janssen daher mit Lösungsansätzen zu Führung in Zeiten der Unvorhersehbarkeit.

Tophotel: Herr Janssen, wie kann ich mein Unternehmen motiviert führen, wenn alle Schlagzeilen nur noch von Krisen dominiert sind?

Bodo Janssen: Der Druck auf Führungskräfte ist gewachsen, von oben und von unten. Sie befinden sich in einer Sandwich-Position. Mein Rat ist, sich auf das zu fokussieren, was tatsächlich in meiner Macht liegt. Ich darf nicht die Schuld bei anderen suchen, beim Chef, bei der Politik. Wir beklagen uns häufig über Dinge, über die wir nicht verfügen können. Einen Ukrainekrieg oder Corona, aber auch bestimmte politische Entscheidungen zu meinen Ungunsten kann ich nicht direkt beeinflussen. Also muss ich überlegen: Was mache ich jetzt daraus? Am Ende spielt es keine Rolle, ob eine Herausforderung Folge einer Naturkatastrophe oder der Politik ist. Entscheidend ist, wie ich damit für mein Unternehmen umgehe.

Doch leider erleben wir derzeit häufig auch von Unternehmern eine Mischung aus Jammern und Arroganz, wobei Arroganz natürlich auch oft eine Kombination aus Angst und Unsicherheit ist. Unter solchen Bedingungen zu arbeiten ist für Mitarbeiter sehr schwierig.

Was war die Initialzündung, gerade jetzt ein neues Buch zum Thema Führung herauszubringen?

Ich habe mich dazu entschlossen, weil ich immer häufiger mit Fragen konfrontiert wurde, auf die Führungskräfte keine Antworten haben. Und dann habe ich mich auch darüber geärgert, was alles in den eigentlich guten Begriff New Work hineininterpretiert wird, was die Situation nicht verbessert.

"Prozesse effizienter zu gestalten und weniger zu arbeiten, führt nicht unweigerlich zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit."

Was genau meinen Sie damit?

Im Mittelpunkt des New-Work-Gedankens von Begründer Frithjof Bergmann stand, dass Menschen nicht nur Geld verdienen möchten, sondern aus der Arbeit heraus auch Fragen beantwortet bekommen wollen, die ihr Leben betreffen. New Work beschreibt die Arbeit als Mittel zum Zweck, Selbsterkenntnis zu gewinnen. 

Das ist aber das Gegenteil von dem, was viele Führungskräfte jetzt unter dem Deckmantel New Work tun. Sie denken, wenn sie den Mitarbeitern alles einfach und unkompliziert machen, dann sind diese zufrieden. Eine Viertagewoche für alle ist beispielsweise Unsinn, das möchten gar nicht alle Mitarbeiter. Wir haben das in unserem Unternehmen abgefragt. Die Viertagewoche arbeitet zudem gegen die deutsche Wirtschaft. Prozesse effizienter zu gestalten und weniger zu arbeiten, führt nicht unweigerlich zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit.

Was suchen Mitarbeiter stattdessen bei ihrer Arbeit?

Wir haben gerade die vergangenen zehn Jahre in unserem Team reflektiert, wie jeder einzelne Mitarbeiter den von uns eingeschlagenen Upstalsboom-Weg für sich interpretiert hat. Das war teilweise sehr unterschiedlich. Doch alle haben eines genossen: Dass dabei der Mensch gestärkt wurde und wird.

Der Mensch und seine Fähigkeiten spielen in Ihrem Buch eine große Rolle.

Ja, denn die wirklich gravierenden Veränderungen, die sich weltweit in der Wirtschaft vollziehen, der gesamte Fortschritt bei der Digitalisierung und Automatisierung führt uns Menschen auf das Menschsein zurück, auf unsere besondere Fähigkeit, Empathie zu zeigen und Beziehungen einzugehen. Hatten Führungskräfte früher noch viel Macht durch Wissen, so haben heute sehr ­viele Menschen digital Zugriff auf enormes Wissen. Damit sind heute menschliche Skills entscheidender als erlerntes Wissen. Alles, was nicht Menschlichkeit ausdrückt, kann durch Maschinen besser gemacht werden.

Was bremst Mitarbeitende bei der Arbeit aus?

Das kann zum Beispiel die Gier des Unternehmers sein. Wir haben deshalb in einigen Häusern eine Belegungsbremse umgesetzt, weil wir festgestellt haben, dass das Team ab einer bestimmten Belegung nicht mehr in der Lage war, die Gästewünsche zu erfüllen. Wenn ich mich als Führungskraft nur auf den Umsatz fokussiere, kann dies leicht zu Ungunsten von Gästen und Mitarbeitern ausgehen. Ein Sommelier beispielsweise, der keine Zeit mehr für die Weinberatung findet, weil er den Service beim Teller-Einsetzen unterstützen muss, hat keinen Spaß mehr an seinem Beruf, und den Gästen entgeht die Beratung. Die Frage ist: Wie werden wir der Qualifikation unserer Mitarbeiter gerecht, nicht nur, wie steigern wir den Umsatz. Mitarbeiter wollen das, was sie tun, auch wirklich gut machen können.

Bodo Janssen

Bodo Janssen, geboren 1974, studierte BWL und Sinologie und stieg im Anschluss ins elterliche Hotelunternehmen ein. Als sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, übernahm er die Führung der Hotelkette. Nachdem er bei einer Mitarbeiterbefragung vernichtende Ergebnisse erhalten hatte, beschloss er, für eineinhalb Jahre ins Kloster zu gehen. Nach dieser Zeit der inneren Einkehr leitete Bodo Janssen in seinem Unternehmen einen Paradigmenwechsel ein, mit dem Ziel, eine authentische Unternehmenskultur zu entwickeln, sodass alle Mitarbeitenden im Unternehmen das leben können, was ihnen als Mensch wichtig ist.

Welche Rolle spielt die Höhe der Bezahlung?

Es wird immer Menschen geben, für die Geld ihr Ein und Alles ist. Ein Großteil der Menschen verlangt heute aber nach einer neuen Währung.

Was ist ihnen denn wichtiger?

Wir haben in unserem Unternehmen schon vor einigen Jahren eine Umfrage gestartet, ab welchem Einkommen die Mitarbeiter lieber einen Freizeitausgleich hätten als mehr Geld. Dabei kamen 2.000 Euro netto heraus, branchenübergreifend waren es wohl um die 5.000 Euro. Freizeit, Unterstützung bei der persönlichen Entwicklung, die Möglichkeit, Fähigkeiten im Job richtig umzusetzen, das sind Dinge, die heute wirklich zählen.

Von Boni für Führungskräfte halten Sie auch nichts, wie Sie kürzlich in einem Linkedin-Post schrieben.

Ich finde es unsinnig, einzelne Leistungen gesondert zu honorieren. Das geht am Ende nur auf Kosten der Mitarbeiter, die Führungskräfte konzentrieren sich nur noch auf ihre Boni und verlangen dann auch noch immer mehr. Daher bin ich nicht für Boni, aber auch nicht für die Gleichstellung von Gehältern. Ich bin für Gerechtigkeit bei der Bezahlung. Dafür muss man sich bei jedem einzelnen fragen, was ihm wirklich gerecht wird. Nicht gerecht finde ich zum Beispiel den Unterschied bei den Tariflöhnen. Wir haben als Folge dessen unsere Gehälter in Ostdeutschland um über 20 Prozent erhöht. Ein Mitarbeiter in Mecklenburg-Vorpommern sollte nicht schlechter dastehen als einer in Niedersachsen. Viel wichtiger als Geld ist den Menschen aber tatsächlich, dass sie an ihrer persönlichen Entwicklung arbeiten können. Und dass ihnen die Aufmerksamkeit zukommt, die sie benötigen.

Unterlaufen Ihnen dabei auch heute noch Fehler?

Ja, natürlich, auch ich bin nicht frei von Fehleinschätzungen. Ich hatte zum Beispiel beschlossen, mein Büro aufzugeben, weil ich mobil von verschiedenen Orten aus arbeiten kann. Eine Mitarbeiterin hat es aber so verunsichert, dass sie keine konkrete Anlaufstelle mehr hatte, an der sie mich erreichen kann, dass sie krank wurde. Als wir die Ursache herausgefunden und eine neue Lösung der Zusammenarbeit erarbeitet hatten, verschwanden diese Symptome wieder. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, dass die Aufgabe meines Büros bei anderen Ängste auslösen könnte. Fälle wie diese bezeichne ich als toxische Führung, Führung, die andere krank macht, oft auch unbeabsichtigt.

"Freizeit, Unterstützung bei der persönlichen Entwicklung, die Möglichkeit, Fähigkeiten im Job richtig umzusetzen, das sind Dinge, die heute wirklich zählen."

Was fällt noch darunter?

Manchmal sind es unbedachte Äußerungen, die Mitarbeiter kränken. Oder dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter nicht grüßen und selbst nach Wochen deren Namen nicht kennen. Toxisch wird die Arbeit aber auch, wenn zu viel auf Kennzahlen geachtet wird, auf Checklisten, Audits: Das alles nimmt sehr viel Zeit in Anspruch und lenkt von der eigentlichen Arbeit als Gastgeber ab.

Upstalsboom hat mehr Bewerber als Sie benötigen, und in manchen Hotels beschäftigen Sie über 50 Prozent Quereinsteiger, vom Bankdirektor als Pagen bis zur Physiotherapeutin im Housekeeping. Worauf basiert dieser Erfolg?

Wir haben bereits vor zehn Jahren im Spannungsfeld von Spiritualität und Wissenschaft angefangen, Angebote zu schaffen, die Menschen bieten, wonach sich heute viele sehnen. Wir unterstützen sie dabei, ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln, zum Beispiel durch unsere Tour-des-Lebens-Projekte, bei denen wir mit Mitarbeitern Touren zum Kilimandscharo, nach Spitzbergen oder nach Ruanda unternehmen, aber auch durch Kloster­seminare, Coachings und vieles mehr. 50 Prozent unserer Weiterbildungsangebote stellen wir dabei auch der ­Öffentlichkeit zur Verfügung, was von vielen Unternehmen gern genutzt wird.

Sind darunter auch Hoteliers?

Sehr selten, eher andere Branchen, von der Großbäckerei bis zum Autohaus. Ich würde mir mehr Teilnehmer aus der Hotellerie wünschen. Das könnte auch zu einem spannenden inhaltlichen Austausch führen. Denn wir sind auf dem einen Gebiet der Führung wirklich gut, haben aber gewiss noch Bereiche, in denen unser Wissen ausbaufähig wäre.

Was schätzen Sie besonders an der Hotellerie? Die mit der Hotellerie einhergehenden Aufgaben sind ein Geschenk für die Welt. Gastfreundschaft ist eines der höchsten Güter. Das sagen übrigens auch die Benediktiner. Sie brechen zugunsten ihrer Gäste sogar Regeln, verzichten beispielsweise auf bestimmte Rituale, um voll und ganz für ihre Gäste da zu sein.

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Christoph Schmuck über seinen Mitarbeiter-Campus https://www.tophotel.de/christoph-schmuck-ueber-das-thema-mitarbeiter-campus-326425/ Thu, 21 Dec 2023 11:02:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=326425 Der Hotelier führt mit seiner Frau Christina seit 2006 in fünfter Generation das Naturhotel Forsthofgut. Mit dem „Team Forsthofgut Campus“ tätigt er ein großes Investment in Mitarbeiter und Employer Branding. 

Im Alter von 22 Jahren übernahm Christoph Schmuck den Hotelbetrieb und entwickelte das 109-Zimmer-Hotel im österreichischen Leogang stets weiter. Allein rund 80 Millionen Euro hat er in den vergangenen 17 Jahren in den Ausbau des Gästeangebots investiert. Mit dem „Team Forsthofgut Campus“, der am 1. Dezember eröffnet hat, geht er nun noch einen Schritt weiter und tätigt ein Investment in Mitarbeiter und Employer Branding. 

Tophotel: Herr Schmuck, Sie haben gerade den „Team Forsthofgut Campus“ gestartet. Was genau ist das?

Christoph Schmuck: Bei dem Campus handelt es sich um einen 1.300 Quadratmeter großen Mitarbeiterbereich, auf dem gelernt, gelebt und Zeit miteinander verbracht werden soll. Das Konzept ist angelehnt an einen Universitätscampus und beruht auf den fünf Säulen Wellbeing, Education, Social, Food und Living. Es gibt Seminar- und Besprechungsräume, Restaurant, Bar, Lounges, eine Gaming Area für TV- und Spieleabende und ein DJ-Pult. Mir persönlich ist das Thema Education besonders wichtig. Getreu unserem Motto „Wir bereichern Menschen“ möchten wir unsere Mitarbeiter stets weiterentwickeln und bereichern. Beim Thema Food wiederum war unser Anspruch, dass wir ein Verpflegungskonzept in der gleichen Qualität wie für unsere Gäste umsetzen.

Wie kamen Sie auf die Campus-Idee?

Die kam von meiner Frau und mir, denn wir haben uns auf einem Campus – an der Uni in Innsbruck – kennengelernt. Ich mag diese Atmosphäre, wenn junge Menschen zusammenkommen. Da entsteht etwas, da ist Austausch, es kommen Ideen zum Vorschein – und genau diese Atmosphäre soll auch hier im Forsthofgut gelebt werden. Es geht uns darum, dass Menschen zusammentreffen, eine Reise, eine Entwicklung machen, gemeinsam Spaß und eine gute Zeit haben – genau das macht einen Campus aus, und insofern war uns relativ schnell klar, dass wir einen Forsthofgut-Campus entwickeln wollen.

„Ich mag diese Atmosphäre, wenn junge Menschen zusammenkommen. Da entsteht etwas, da ist Austausch.“

Welche Investition haben Sie für das Projekt getätigt?

Wir haben rund 8 bis 9 Millionen Euro in den Campus investiert, parallel dazu auch eine neue unterirdische Anlieferzone sowie Lager- und Logistikflächen geschaffen. Insgesamt kommen wir so auf rund 15 Millionen Euro.

Weshalb wurde ein Projekt in diesem Umfang nötig?

Wir haben das Hotel in den vergangenen Jahren vorrangig in Richtung der Gäste entwickelt, aber weniger Back of House. Der Mitarbeiterstamm ist gewachsen, die dafür nötige Infrastruktur aber nicht. Um Gäste zu begeistern, ist es wichtig, dass wir zuerst unsere Mitarbeiter begeistern. Der Campus soll diesbezüglich ein Zeichen setzen und unseren Mitarbeitern zeigen, dass hier etwas für sie gebaut wurde. Ich bin überzeugt, dass diese Investition die wichtigste ist, die wir jemals getätigt haben.

Sie nannten das Thema Food. Wie hat sich die Mitarbeiterverpflegung verändert?

Der Wunsch unserer Mitarbeiter galt frischeren, gesünderen und veganen Essensangeboten, dazu mehr Auswahlmöglichkeiten. Der Campus verfügt daher über eine eigene Küche, für die wir drei Köche eingestellt haben, die täglich vier kostenlose Mahlzeiten zubereiten. Für mittags und abends haben wir ein Bowl-Konzept ins Leben gerufen, bei dem sich die Mitarbeitenden ihre Gerichte individuell zusammenstellen können. Auch das ein Wunsch seitens des Teams. Dazu können die Mitarbeiter in einem Pizzaoffen ihre selbst belegten Pizzen backen. On top kommt noch ein kleines Spezialangebot für Riegel etc., welches wir zum Selbstkostenpreis über Automaten abwickeln.

Wie setzt sich Ihr Team im Detail zusammen?

Wir sind ein sehr internationales Team mit 260 Mitarbeitern aus rund 15 Nationen – von Kolumbien bis Korea. In der Wintersaison unterstützen uns zudem Kollegen unseres Partnerhotels Daios Cove auf Kreta. Insgesamt ist unser Team sehr weiblich geprägt. Das ist gut so. Ich finde, ein Hotel muss weiblich sein. Auch im Führungskreis von Direktion und Abteilungsleitern – rund 15 Personen – sind die Männer in Unterzahl. Wir haben acht Auszubildende, was uns deutlich zu wenig ist. Unser Ziel ist es, in den nächsten drei Jahren auf 20 hochzukommen.

„Ich finde, ein Hotel muss weiblich sein.“

Einen weiterer Campus-Schwerpunkt gilt dem Thema Education. Was bedeutet das konkret?

Die Säule Education gilt unserer Mitarbeiter-Akademie, die bei uns auf einem dreistufigen Modell basiert. Stufe eins setzt mit Basisinhalten für alle Kollegen an, Stufe drei ist vor allem für potenzielle oder Führungskräfte ausgelegt. Der Großteil der Schulungen zielt dabei auf eine persönlichkeitsbildende Entwicklung ab. Wir wollen Menschen im Haus haben, die das richtige Mindset für den Job bei uns mitbringen. Mir ist es etwa nicht so wichtig, ob der Teller beim Servieren von rechts oder links eingestellt wird, solange es dem Mitarbeiter gelingt, dem Gast ein ganz besonderes Gefühl zu vermitteln. Ich glaube, dass es heutzutage um diese besonderen Momente für Gäste geht, wenn wir über Dienstleistung sprechen.

Christoph und Christina Schmuck
Menschen bereichern: Das ist der tägliche Antrieb von Christina und Christoph Schmuck. - © P.LANGWALLNER@ME.COM

Wer vermittelt die Lerninhalte?

Externe Trainer, doch wir wollen auch einiges selbst abdecken, etwa durch Train-the-Trainer-Angebote. Unser Ziel ist es, Weiterbildung nachhaltig und wiederkehrend zu vermitteln sowie mit eher kurzen Impulsen. Es wird sogenannte Quickies geben, die sich gut in den operativen Hotelablauf integrieren lassen, aber natürlich auch Halbtags- und Tagesveranstaltungen. Dazu wollen wir das Thema E-Learning, dass wir seit zwei Jahren mit einer App bespielen, noch mehr forcieren, da sich Schulungen und Weiterentwicklung über diesen Kanal ebenfalls gut abbilden lassen. Uns ist klar, dass es hier auch Treiber und Kümmerer braucht, denn angesichts einer Hotelauslastung von mehr als 90 Prozent hatten wir in der Vergangenheit oft die Herausforderung, dass die Kapazitäten für die Weiterentwicklung im Team gefehlt haben. Das wollen wir künftig besser machen.

Weitere Campus-Säulen sind Wellbeing, Social und Living – was verbirgt sich dahinter?

Das Campus-Konzept sieht ebenfalls eine gewisse Freizeitkomponente für unsere Mitarbeiter vor. Wir haben Räumlichkeiten geschaffen, wo Mitarbeiter in den Pausen, aber auch nach Feierabend gemeinsam Zeit verbringen und zusammenwachsen können. Wir sehen das auch als Möglichkeit, um den „Klebstoff“, der unser Team zusammenhalten soll, zu stärken. Ähnlich wichtig wie Arbeit und Weiterbildung ist es, Freizeitmöglichkeiten zu schaffen, wo die Mitarbeiter auch einmal feiern und abseits des Jobs eine gute Zeit haben können.

Im Zusammenhang mit dem Campus fällt auch der Slogan „We turn Work into Play. Food into Nourishment.

Time into Happiness. And Team into Family.“ Was hat es damit auf sich – und: will denn jeder diese Gemeinschaft so intensiv leben? Das ist das Credo für den Campus beziehungsweise für dessen Werbekampagne. Employer Branding hat heute einen hohen Stellenwert. Unser Ziel ist es, das Forsthofgut als hochattraktiven Arbeitgeber am Arbeitsmarkt zu etablieren. Hier sehen wir den Campus als starkes Argument und Entscheidungskriterium für das Forsthofgut, wenn es um die Gewinnung neuer Mitarbeiter geht. Was die Gemeinschaft anbetrifft, so haben wir bereits vor dem Campus Mitarbeiterveranstaltungen angeboten – von Yoga über Wanderungen bin hin zum Herbstfest auf unserer Alm. Es gibt natürlich eine gewisse Brandbreite an Mitarbeitern, die mit Feuereifer dabei sind, aber auch welche, die sagen, finde ich gut, ist aber nichts für mich. Auf dem Campus haben wir nicht nur Schulungsräumlichkeiten, sondern auch eine Bar und eine Küche. Dort wollen wir Cocktail-Masterclasses anbieten oder auch mal einen Kurs mit unserem Sushimeister aus dem Mizumi. Der Großteil der Kollegen sagt Wow, wir freuen uns schon drauf, wenn mal ein After-Work-Event stattfindet oder eine gemeinsame Kochveranstaltung.

Wie definieren Sie Arbeit vor dem Hintergrund von New Work und Gen Z? Gibt es Veränderungen, die Sie als Führungskraft leben wollen?

Absolut. Die Welt ist massiv im Umbruch, was das betrifft. Vor zwei Wochen war unser Führungskreis zwei Tage in Klausur am Tegernsee und hat sich mit diesen Themen beschäftigt. Beispielsweise, wie die neue Generation Gäste, aber auch die neue Mitarbeitergeneration tickt, und wie wir als Arbeitgeber darauf reagieren können. Unser Campus ist eine Reaktion auf diese Veränderungen. Wir sind der Meinung, dass der Spruch „Der Gast ist König“ extrem überholt ist. Bei uns soll es viel mehr um Augenhöhe zwischen unseren Mitarbeitern und dem Gast gehen, ebenso wie um Augenhöhe zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Gerade mit jungen Mitarbeitern müssen wir heute einen anderen Führungsstil pflegen und auch weiterentwickeln.

Wie tickt die neue Generation und welche Herausforderungen bedeutet das für Sie als Arbeitgeber?

Die neue Generation fragt sehr stark nach Sinn, nach Erklärung und warum etwas gemacht wird. Unser Credo „Wir bereichern Menschen“ ist für mich der Grund jeden Tag aufzustehen und das versuche ich auch den jungen Menschen zu vermitteln, wenn es um den Sinn ihrer Tätigkeit geht. Ein weiterer Punkt, dem wir Rechnung tragen müssen, ist eine Ausgewogenheit zwischen Job und Freizeit, die die neue Generation stark einfordert.

Einblick in den Forsthofgut Campus
Eine Wohlfühlatmosphäre wie im Hotel selbst zu schaffen war das Ziel bei der Gestaltung des Team Forsthofgut Campus. - © Naturhotel Forsthofgut

Welche Führungsphilosophie verbirgt sich hinter Ihrem Credo „Wir bereichern Menschen“?

Das Credo ist abgeleitet vom Golden-Circle-Denkmodell des Buchautors und Unternehmensberaters Simon Sinek. Er sagt, es kommt nicht so darauf an, was du machst oder wie du es machst, sondern warum du es machst. Was ist dein Antrieb, dein Grund, jeden Tag aufzustehen? Damit haben wir uns gemeinsam mit unseren Mitarbeitern und extern moderiert intensiv auseinandergesetzt. Das Ergebnis war das Credo „Wir bereichern Menschen“. Wir versuchen unser Haus stark wertebasiert zu führen und haben für das Forsthofgut sieben Werte definiert – familiär, feinfühlig, herzlich, leistungshungrig, kultiviert, mutig, erantwortungsbewusst –, die unsere Genetik und den Grund ausmachen, jeden Tag aufzustehen. Diese geben uns Orientierung und sind auch für die jüngeren Kollegen eine wichtige Leitplanke.

Leistungshungrig klingt ehrgeizig?

Wir sind durchaus ein Haus, das sich immer weiterentwickeln will und diesen Leistungshunger hat. Wir wollen Kollegen haben, die genauso ticken. Wir sprechen auch in Bewerbungsgesprächen über diese Werte, wie wir sie verstehen und wie die potenziellen Mitarbeiter darüber denken, um einen guten Fit zu haben und Menschen einzustellen, die zu uns passen.

Wer hat den Campus maßgeblich gestaltet?

Das war ein Team aus Architekten, einem HR-Berater, einem Teil unserer Mitarbeiterschaft sowie meiner Frau und mir. In einer eigens initiierten Workshop-Reihe durften alle ihre Ideen und Wünsche für den Campus einbringen, darunter war etwa die Gaming-Zone, die wir realisiert haben. Für das Interior zeichneten vorrangig meine Frau und das Architektenteam verantwortlich. Hier war uns wichtig, dass der neue Mitarbeiterbereich genauso hochwertig gestaltet ist wie unsere Gästebereiche. Das ist auch unsere zentrale Botschaft: Wir wollen keinen Unterschied machen! Wir wollten eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, die dem Hotel in nichts nachsteht.

„Unsere zentrale Botschaft: Wir wollen keinen Unterschied machen!“

Wie lange dauerte Entwicklungsprozess – von der Idee bis Bauabschluss?

Zirka drei Jahre – vom Erstkontakt zum Architekten bis hin zur Fertigstellung. Die Bautätigkeit selbst erstreckte sich vom 11. April bis 1. Dezember dieses Jahres. Am 13. Dezember haben wir ein großes Eröffnungsfest geplant.

War der HR-Berater nur für das Campus-Projekt dabei oder begleitet er Sie schon länger?

Im Bereich HR haben wir eine Beratungsfirma, die uns auch schon zirka vier Jahre begleitet. Wir haben vor zwei Jahren eine HR-Offensive gestartet, wir nennen es Mitarbeiter-Offensive. In deren Zuge haben wir die HR-Abteilung auf fünf Kollegen aufgestockt. Wir sind der Meinung, dass die HR-Abteilung die Servicestelle für unsere Mitarbeiter sein muss, deshalb haben wir sie in den Campus integriert. So haben Mitarbeiter, wenn sie ein Anliegen haben, gleich jemanden greifbar, der sie unterstützen kann.

Wie kam es zu dieser Mitarbeiter-Offensive?

Weil die Mitarbeiter der Erfolgsgarant für ein Hotel sind. Wenn wir Gäste begeistern wollen, müssen wir Mitarbeiter begeistern. Wir sind im Wettbewerb um die besten Köpfe der Branche, da wollen wir vorn dabei und konkurrenzfähig sein. Und deshalb haben wir gesagt, das ist gut in die Zukunft unseres Unternehmens investiert, wenn wir eine Mitarbeiter-Offensive lancieren, die HR-Abteilung aufstocken und einen Campus umsetzen.

Ist es bei 260 Mitarbeitern immer leicht, alle Stellen besetzt zu besetzen?

Nach dem langen Lockdown war es sehr schwierig und erst einmal ein Tal, das wir durchschreiten mussten. Jetzt geht es wieder bergauf. Für den Winter haben wir bis auf drei Kollegen das Team komplett. Letzten Winter und diesen Sommer war es dasselbe. Daher bin ich guter Dinge. Der Campus soll dazu beitragen, die Fluktuation generell reduzieren und die Verweildauer unser Mitarbeiter noch einmal zu erhöhen.

Wie ist es derzeit um die Verweildauer bestellt?

Wir sind ein sehr junges, internationales Team, entsprechend wechseln auch immer wieder Kollegen nach zwei, drei Jahren. Die generelle Verbleibdauer ist deutlich länger, da wir einen sehr soliden Stamm aus Mitarbeitern haben, die hier zuhause und auch zehn, zwanzig Jahre bei uns sind.

Macht Leogang als gefragte Hoteldestination den Ort auch zur gefragten Mitarbeiter-Destination?

Ich denke ja. Wir beobachten, dass Leogang Mitarbeiter anzieht, und dass die Qualität der Hotelbetriebe vor Ort am Mitarbeitermarkt ein Pluspunkt ist. Im örtlichen Tourismusverband, in dem ich als Obmann engagiert bin, versuchen wir seitens der Destination Akzente zum Thema „Arbeitsraum-Lebensraum“ zu setzen. Wir sind der festen Meinung, dass Leogang ein hochattraktiver Lebensraum ist und wir sehen, dass sich viele Mitarbeiter, die auf eine begrenzte Zeit hierherkommen, sich in Leogang niederlassen und auch Familien gründen. Auf politischer Ebene versuchen wir zu forcieren, dass die Gemeinde noch mehr Augenmerk auf die Entwicklung von Wohnraum legt.

Eines ist entgegen einem Uni-Campus mit Ihrem Campus allerdings nicht verbunden: Wohnmöglichkeiten.

Nein, denn wir haben schon diverse Mitarbeiterhäuser errichtet, stellen inzwischen 140 Mitarbeiterzimmer/- wohnungen. Dafür haben wir 2008 gemeinsam mit drei Hotelkollegen vom Salzburger Hof, Hotel Rupertus und Hotel Riederalm eine GmbH gegründet, die Mitarbeiterhäuser errichtet und betreibt. Das ist schön, weil wir es als Mitbewerber in gutem Einvernehmen tun und die wirtschaftlichen und administrativen Vorteile eine Win-win-Situation für alle bedeuten.

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Daniel Reuner über Azubi-Recruiting https://www.tophotel.de/daniel-reuner-ueber-azubi-recruiting-319151/ Tue, 21 Nov 2023 14:20:00 +0000 https://www.tophotel.de/?p=319151 Hotelchef Daniel Reuner hat die nächste „Flair-Generation“ fest im Blick – sei es im eigenen Betrieb oder in den Reihen der Hotelkooperation, der er als Präsident vorsteht. Mit Tophotel sprach er über seine Recruiting-Strategien.

Hotelier und Flair-Hotels-Präsident Daniel Reuner wusste schon von klein auf, welchen Berufsweg er einmal einschlagen möchte. Seine Begeisterung für die Branche trägt der Inhaber des Flair Hotels Reuner seit nunmehr vielen Jahren als Ausbildungsbotschafter unermüdlich in Kindergärten und Schulen. „Weil es wichtig ist, den Nachwuchs für die Branche reinzubekommen“, sagt er angesichts des Mitarbeitermangels. Das bedeute viel Arbeit, doch die zahle sich letztlich aus. Auch von der Ausbildungsreform hat sein Betrieb profitiert.

Tophotel: Herr Reuner, der jüngsten Dehoga-Umfrage zufolge beklagen rund 65 Prozent der Hoteliers akuten Mitarbeitermangel. Bei den Ausbildungszahlen beobachten die Landesverbände immerhin wieder einen leichten Anstieg und hoffen auf eine Trendwende. Wie sieht es in Ihrem Betrieb aus?

Daniel Reuner: Unsere Mitarbeitersituation ist überdurchschnittlich gut, aber viele Kollegen haben große Probleme, Mitarbeiter zu bekommen – und damit meine ich nicht einmal Fachpersonal. Ich kenne viele Einzelkämpfer, die ihre Budgets herunterfahren, nur noch Frühstücksservice anbieten. Auch zwei unserer Flair-Mitgliedsbetriebe haben ihre Restaurants teilweise geschlossen, weil Personal fehlte. Wer jetzt vor der Rente steht, wird – sollte die Mehrwertsteuer­erhöhung auf 19 Prozent kommen – zum Jahresende dichtmachen. Die jüngsten Hochrechnungen des Dehoga gehen von 12.000 Betriebsschließungen aus. Das ist dramatisch. Immerhin machen die Ausbildungszahlen etwas Hoffnung.

Wie erklären Sie sich dies?

Das hat sicher auch mit der Ausbildungsreform im vergangenen Jahr zu tun. Über die neu lancierten zweijährigen Ausbildungen zur Fachkraft Küche und Fachkraft Gastronomie konnten wir für unseren eigenen Betrieb zwei Nachwuchskräfte gewinnen. Durch die Neuordnung der Ausbildungsberufe können sie später noch ein Jahr draufzusatteln, um den Koch- oder Restaurantfach-Abschluss zu machen. Dadurch haben wir in diesem Jahr unsere Ausbildungszahl verdoppelt, sonst wäre es bei je einem Koch- und Hofa-Azubi geblieben.

Worauf kommt es Ihrer Meinung nach an, um junge Leute für die Branche zu gewinnen?

Wir müssen ihnen zeigen, dass wir ein innovatives Berufsfeld bieten. Gerade Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema für diese Generation. Hier können wir als nachhaltiger Arbeitgeber punkten: Bei uns kommen Gemüse und Kräuter aus dem eigenen Garten, wir sind mit Green Sign Level 5 zertifiziert und leben den Slow-Food-Gedanken. Damit erzeugen wir ein Image, mit dem wir junge Leute gewinnen. Außerdem ist es wichtig, in der Öffentlichkeit und bei den Eltern präsent zu sein.

"Wir fangen im Kindergarten an, Werbung für unseren Betrieb zu machen."

Daniel Reuner, Hotelier und Flair-Hotels-Präsident

Wie gehen Sie das konkret an?

Wir fangen bereits in den Kindergärten an, Werbung für unseren Betrieb zu machen. Das ist quasi zehn Jahre vorausgedacht, doch es braucht diesen Vorausblick bei der Mitarbeiterentwicklung, sonst stehen wir irgendwann ohne da. Wir kochen mit den Kindern, üben Gemüseerkennung. Grund- und Gesamtschulen fragen uns oft für Wandertage an. Die Klassen lernen unser Hotel kennen, probieren sich im Gemüseschnitzen, wobei die Fingerfertigkeit in den letzten Jahren stark nachgelassen hat. Wir sehen dabei, wer Spaß am Beruf haben könnte und wer nicht. Mir ist es wichtig, den Schülern die Berührungsängste gegenüber dem Hotelbusiness zu nehmen. Wir vermitteln, dass unser Haus ein ganz normaler Begegnungsort ist, um Essen zu gehen oder auch mal ein Praktikum zu machen. So gewinnen wir immer wieder Betriebspraktikanten und Schüler, die bei uns arbeiten. Gleichzeitig ist das der erste Schritt in Richtung Lehre, der uns im Ergebnis schon einige Azubis gebracht hat.

Sind Sie denn immer persönlich in den Kitas und an den Schulen präsent?

Ja, ich versuche diese Aktivitäten in unseren Alltag einzubauen – sei es eine Stunde in einer Schule vor Ort oder drei Stunden bei uns im Betrieb.

Das bedeutet einigen Zeitaufwand zusätzlich zum normalen Betrieb?

Das ist richtig. Ich muss mir Zeit nehmen. Doch ich weiß, dass ein Ausbildungstag an einer Schule oder Zeit für Gespräche Investitionen in die Zukunft sind. Ich muss jetzt daran arbeiten, dass wir in fünf oder zehn Jahren Mitarbeiter haben. Also muss ich mir Freiräume schaffen. Das könnte ich beispielsweise, indem ich nur abends aufmache und den Nachmittag anderweitig nutze, oder ich nehme zu Zeiten, in denen ich sowieso arbeite, noch einen Praktikanten dazu. Diese Bemühungen tragen letztlich Früchte, ich muss nur damit anfangen.

Mit welchen Inhalten umwerben Sie die junge Generation an den Schulen?

Als erstes sage ich immer: Bei uns habt ihr es warm und trocken, es gibt Essen und Trinken. Das klingt banal, doch es kommt an. Außerdem mache ich gute Erfahrungen, einen Mitarbeiter dabeizuhaben, der selbst an der jeweiligen Schule gelernt hat und über seinen Berufsweg bei uns berichtet. Das Thema Geld – wir zahlen fast 1.000 Euro für einen Azubi – ist dagegen weniger wichtig, da viele Jugendliche behütet aufwachsen und sich nicht darum kümmern müssen, eine Wohnung oder ein Auto zu bezahlen. Ihnen ist wichtiger, dass der Arbeitsweg nicht lang ist, dass sie ihre Freizeit frei planen können und dass ihre Wünsche diesbezüglich berücksichtigt werden. Für die Dienstplangestaltung ist das herausfordernd, doch wir schaffen es zumeist die Wünsche zu erfüllen. Und das ist, glaube ich, ein großer Mehrwert.

Reuner mit Tochter
Daniel Reuner legt Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität, wie etwa mit einer eigenen Wildschafzucht. Tochter Leni hat er mit seiner Begeisterung bereits angesteckt. - © Flair Hotel Reuner/Franziska Rothe

Welche Benefits bieten Sie darüber hinaus?

Das reicht von Preisvorteilen in anderen Flair Hotels über Tankgutscheine bis hin zur Spenditcard. In Kürze wollen wir über alle Flair-Häuser hinweg einen weiteren Benefit ausrollen, von dem alle Mitarbeiter und somit auch die Azubis profitieren. Dafür arbeiten wir mit der österreichischen Firma Corplife zusammen, die eine digitale Plattform für exklusive Mitarbeiterangebote anbietet, die über 1.500 Marken mit Sonderrabatten listet. Start ist zur Herbsttagung im November.

Über welche Kanäle erreichen Sie die jungen Leute am besten?

Die 16- bis 17-Jährigen sind hauptsächlich an ihrer Schule oder im Internet unterwegs. Dort müssen wir sein. Facebook und Instagram sind wichtige Kanäle, um die junge Zielgruppe über Videos und Werbebanner zu erreichen. Schließlich wächst auch die branchenfremde Konkurrenz rund um Berlin mit Betrieben wie Tesla und Co.

Ihr eigene Karriere war sehr zielstrebig und stringent: Sie haben an Wettbewerben teilgenommen, zahlreiche Preise gewonnen. Nehmen sie die jungen Leute genauso wettbewerbsaffin wahr?

Leider nicht, doch es gibt Perlen. Wir haben gerade einen Koch-Azubi, dem das liegen könnte. Viele Jugendliche haben jedoch eine Egal-Einstellung, setzen auf soziale Hängematte oder strengen sich nicht übermäßig an. Wir beobachten, dass es die Jugendlichen heute viel lockerer angehen, eine Ausbildung zu suchen. Von 20 Schülern haben vielleicht drei, vier eine gefestigte Vorstellung von ihrem beruflichen Weg, der Rest hat wenig oder gar keinen Plan. Früher war das Verhältnis genau umgekehrt.

Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?

Wir müssen uns daran anpassen, wie die heutige Jugend denkt und tickt. Waren früher Statussymbole wie Autos wichtig, sind es heute Handys. Stand einst die Arbeit im Mittelpunkt, wird sie heute zum Beiwerk. An den Schulen versuchen wir herauszufinden, wer weiß, was er einmal werden will. Dann bekommen wir auch die Kandidaten, die Einsatz bringen.

Haben Sie Ihre Ansprüche an neue Azubis geändert?

Ja, wir haben unsere Ansprüche heruntergeschraubt, fokussieren uns nicht mehr nur auf Zweier- und Dreier-Kandidaten, sondern sind auch offen für Abgänger mit schlechteren Notendurchschnitten. Noten sind letztlich zweitrangig, sofern der Azubi Lust auf den Job hat, pünktlich zur Arbeit kommt und mit Kollegen und Gästen umgehen kann. Seit zwei Monaten haben wir einen Azubi mit ursprünglich schlechtem Notendurchschnitt im Team. Er wollte unbedingt in die Branche, blüht gerade völlig auf und präsentiert seine Desserts bereits am Gast. Hier war es gut, ihm eine Chance zu geben.

Viele Kollegen rekrutieren aus dem Ausland, Sie auch?

Wir haben einige polnische Mitarbeiter, die teils pendeln und nur vier Tage arbeiten, sowie zwei nepalesische Mitarbeiter, darunter eine Auszubildende. Sie ist bereits unsere vierte aus Nepal. Unter den Flair Hotels gibt es viele Kollegen, die sich Mitarbeiter aus dem Ausland holen, etwa Familie Bannier vom Deutschen Haus in Arendsee, das zahlreiche vietnamesische Mitarbeiter hat.

>> Lesetipp: Auslandsrecruiting: Praxisbeispiele aus der Hotellerie

Wie sind Ihre Erfahrungen beim Auslands-Recruiting?

Die erste nepalesische Auszubildende kam vor sechs Jahren im Anschluss an ein Au-pair-Jahr bei Bekannten zu uns. Unsere neue Auszubildende haben wir jetzt selbst hergeholt. Die Vorgaben und Richtlinien sind inzwischen einfacher geworden. Wir hatten aber Probleme mit der Botschaft in Nepal, der wir glaubhaft versichern mussten, dass wir als Betrieb für die Auszubildenden da sind.

Ab November tritt das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft – was erwarten Sie sich davon?

Wir sind froh, dass es erweiterte Möglichkeiten für die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte nach Deutschland geben wird. Umso einfacher alles wird, umso besser ist es auch für uns.

>> Lesetipp: Was sich mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ändert

In vielen Flair-Betrieben ist sicher auch die Unternehmensnachfolge ein Thema?

Sicher! Um die Junghoteliers aus unseren Reihen ein wenig an die Hand zu nehmen, hat im Hotel Erck in Bad Schönborn unlängst unser erstes Flair-Next-Generation-Treffen stattgefunden. Dort konnten sich alle über ihre Übergabe-Erfahrungen austauschen. Hinzu kommen wöchentliche Onlinetreffen, bei denen öfter mal ein  Rechtsexperte dabei ist. Das findet große Resonanz. So sind unsere Mitglieder in ständigen Austausch. Der Kooperation bringt das viel, weil wir so viel enger zusammengewachsen sind.

Derzeit ist immer wieder von Job-Ghosting zu hören – kamen Sie damit auch schon in Berührung?

Beim Flair-Stammtisch war das jüngst Thema. Kollegen berichten, dass sie jemanden einstellen wollen, die Zusage da ist, aber der neue Mitarbeiter am ersten Arbeitstag nicht erscheint. Warum das so ist, kann ich nicht genau sagen. Ich denke, dass es sich viele Bewerber kurzfristig anders überlegen. Und in unserer schnelllebigen Zeit, in der das Nichtkommen letztlich ohne Konsequenzen bleibt, ist es eben auch einfach, nicht zu kommen.

Flair Hotel Reuner & Flair Hotels

Daniel Reuner, Jahrgang 1981, ist Inhaber und Geschäftsführer des Dreisterne-Superior-Flair-Hotels Reuner in Zossen bei Berlin und seit 2017 Vizepräsident des Dehoga Brandenburg. Den Betrieb hat der gelernte Koch 2012 von seinen Eltern übernommen und leitet ihn heute in zweiter Generation mit seiner Frau. Die Familie beschäftigt 24 Mitarbeitende, darunter sieben Auszubildende, und bewirtschaftet eine eigene Gärtnerei, züchtet Wildschafe, Wollschweine, Hühner und Bienen.

Seit 25 Jahren ist das Hotel Reuner Mitglied der Flair Hotels. Die Kooperation mit Sitz im fränkischen Ochsenfurt wurde 1983 gegründet und feiert in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Seit 2020 steht ihr Daniel Reuner als Präsident vor. Zur Vereinigung gehören derzeit 37 Häuser, mit dem Flair Hotel Kamenz und dem Flair Hotel Rieckmann in Bispingen sind in diesem Jahr zwei neue Mitglieder hinzugekommen.

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